hatten wir das letzte Treffen fuer dieses Schuljahr. Wir behandelten das Buch Ruth (und hier auf Hebraeisch). Zu Shavuot waren wir nicht dazugekommen und ein bisschen schmeichle ich mir, dass zu meinen Ehren nicht darauf verzichtet wurde. Ich habe ja schon zu Protokoll gegeben, dass ich das Buch Ruth sehr persoenlich nehme.
Der Ansatz unserer Madricha (Kursleiterin) war, dass wir das Buch Ruth auf Hinweise auf andere Texte im Tanach lesen sollten. Manche Verbindungen sind sehr offensichtlich: Auf die parallele Geschichte von Tamar wird in Ruth selbst hingewiesen. Andere Assoziationen sind weniger direkt, aber denoch deutlich בחצות הלילה (um Mitternacht) ist der Wendepunkt in Ruths Geschick und der Wendepunkt, als die Israeliten von Aegypten auszogen.
Die Betonung auf „Ruth, die Moabiterin“ liess uns die Geschichte nachschlagen, die zur Geburt Moavs, des Stammvaters der Moabiter fuehrte: Lot und seine Toechter. Die beiden Toechter machen ihren Vater betrunken, um sich von ihm schwaengern zu lassen. Der Sohn der Aeltern ist Moav (hebr. „vom Vater“!).
Die Geschichte der Engel, die die Bewohner von Sodom vergewaltigen wollen und damit den Untergang ihrer Stadt ausloesen, spiegelt sich im Buch der Richter 19, hier im hebr. Original.
Kaum schlugen wir diese Stelle auf, lasen wir im zweiten Satz: „hatte sich eine Nebenfrau genommen aus Bethlehem in Juda“. Der zweite Satz im Buch Ruth beginnt: „Und ein Mann von Bethlehem-Juda zog hin“.
Der erste Satz von Richter 19 ist: „Zu der Zeit war kein König in Israel.“
Der erste Satz von Ruth: „Und es geschah in den Tagen, als die Richter richteten“
Die beiden Geschichten gehoeren zeitlich und geographisch nahe zusammen.
Die Geschichte der Nebenfrau in Givah habe ich gestern das erste Mal in ihrem ganzen Schrecken erfasst. In der Anarchie der Richterzeit wurde eine juedische (!) Nebenfrau von allen Maenner des juedischen Orts (! – der Mann wollte eigens nicht bei den Jebusitern einkehren.) vergewaltigt und misshandelt, dass sie daran starb. (Auf den Punkt, dass das Gastrecht gegenueber dem Mann heilig war, aber die Frau preisgegeben wurde, gehe ich jetzt nicht ein.)
Wenn derartiges einer juedischen Nebenfrau geschehen konnte, um wieviel mehr der moabitischen Witwe Ruth! Die Worte Boas‘ „habe ich nicht den Knaben geboten, dich nicht anzutasten?“ und Neomis „Es ist gut, meine Tochter, dass man dich nicht anfalle auf einem anderen Felde.“ bekommen vor diesem Hintergrund eine viel ernstere Bedeutung. Ruth koennte in der gesetzlosen Zeit der Richter ohne weiteres das Opfer einer Massenvergewaltigung werden.
Im Gegensatz zur hier vertretenen Meinung kamen wir gestern zu der Auffassung, dass Boas und Ruth auf der Tenne nicht miteinander schliefen. Die Bibel ist nicht pruede, aber hier fehlt jedes der Woerter, die sonst Sex signalisieren.
Die Toechter Lots machten ihren Vater betrunken. Das hat Ruth nicht einmal noetig: Boas trinkt schon von allein, bevor er sich zum Schlafen niederlegt. Leicht haette sie die Situation ausnuetzen koennen, wie Lots Toechter mit ihrem Vater und Tamar mit ihrem Schwiegervater. Sie tut es nicht und Boas nennt diesen Akt von חסד (das Wort ist mit „Guete“ mE viel zu schwach uebersetzt; Chesed ist eines der Attribute Gottes) noch groesser als ihren ersten.
Durch ihre Akte von Chesed (gegenueber ihrer Schwiegermutter und gegenueber Boas) gelingt es Ruth, die Menschen in Beth Lechem, die tendenziell nicht besser sind als die Bewohner von Givah – man beachte, wie der Aussenseiterstatus von Ruth als Moabiterin staendig betont wird – zu ethischem Verhalten zu bewegen.
Seit gestern Nacht frage ich mich nun: Bin ich genuegend Ruth? Bemuehe ich mich wirklich, Ruth zu sein?
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Filed under: Persoenliches, Religionsphilosophie | 8 Comments »
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