Ich bin auf einen Artikel in der Sueddeutschen aufmerksam gemacht worden, worin geschildert wird, welche Klimmzuege israelische Paare machen muessen, wenn fuer sie eine orthodox-juedische Trauung nicht in Frage kommt.
Im Grossen und Ganzen ist die Beschreibung zutreffend. Das Fehlen einer standesamtlichen Trauung macht Brautpaaren, die nicht derselben Religionsgemeinschaft oder gar keiner angehoeren, das Leben schwer.
In Israel werden Ehen zwischen Juden und Nichtjuden vom Staat nicht anerkannt. Was tun? Am besten zur Hochzeit nach Zypern fliegen.
Der Untertitel ist faktisch falsch. Wie der Artikel selber ausfuehrt, gibt es in Israel keine standesamtliche Trauungen, sondern nur religioese Zeremonien, so dass Ehen zwischen Partnern, die verschiedenenen Religionsgemeinschaften angehoeren oder auch gar keiner, in Israel nicht geschlossen werden koennen. Andernorts geschlossene Ehen werden jedoch auch in Israel anerkannt. Das ist ja gerade die Grundlage des Heiratstourismus!
Für Ultraorthodoxe wären ihre Kinder keine Juden, sie würden gar als „Mamserim“, Bastarde, gelten.
Das ist falsch. Kinder einer nichtjuedischen Mutter sind keine Juden nach der Halacha. Mamserim aber koennen sie gar nicht sein. Mamser ist naemlich definiert als das Kind einer verheirateten, juedischen Frau aus einer ehebrecherischen Beziehung.
„Viele sind jüdisch genug fürs Militär – aber nicht, um heiraten zu dürfen“
Das ist verzerrend. Die Wehrpflicht in Israel basiert nicht auf Religionszugehoerigkeit, sondern auf der Nationalitaet. Auch drusische Soehne sind wehrpflichtig. Arabische Israelis sind nicht wehrpflichtig, koennen aber freiwillig dienen. Bekanntlich dienen gerade ultraorthodoxe Juden haeufig nicht in der Armee. Da muesste man dann formulieren „zu juedisch fuers Militaer“.
„Jeder Jude ist berechtigt, in das Land Israel einzuwandern“, heißt es im ersten Artikel des Rückkehrgesetzes von 1950. Die Interpretation dessen, wer genau sich denn nun jüdisch nennen darf, wurde damals noch sehr lax gehandhabt. Israel war ein winziges Fleckchen Erde in einem Minenfeld aus Staaten, die es vernichten wollten. Die Versuchung für einen Nicht-Juden, sich ins Land einzuschmuggeln, schien überschaubar zu sein.
Im Grunde ließ man jeden, der im Dritten Reich verfolgt worden wäre oder wurde, einwandern – selbst wenn er nach den Gesetzen der Ultraorthodoxen kein Jude war, sondern beispielsweise nur einen jüdischen Großvater hatte. So bekam auch Elena dank ihres jüdischen Vaters einen israelischen Pass.
Die Darstellung der israelischen Einwanderungsgesetzes ist faktisch falsch und tendenziell. Hier wird suggeriert, dass die Einwanderungspraxis anfangs laxer gehandhabt wurde als heute, um Kaempfer fuer Israels Kriege zu bekommen. Das trifft nicht zu. Dem Rueckkehrrecht wurde 1970 ein Ammendment beigefuegt, wonach Ehepartner, Kinder, Enkel sowie deren Ehepartner ebenfalls unter das Rueckkehrrecht fallen. Diese Bestimmung wurde bewusst parallel zu Rassengesetzen der Nazis gestaltet. Jeder der von den Nazis als Jude verfolgt worden waere, hat das Recht auf Einwanderung nach Israel. Dieses Gesetz wird nach wie vor genauso angewandt.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Elena als eine Gefahr für das jüdische Volk angesehen wird
Das ist pure Hetze!
Die meisten seiner Kollegen sehen in Elena jedoch nur eins: eine Gefahr für den Fortbestand des Volkes. Denn auch Elenas Kinder wären „falsche“ Juden.
Elenas Kinder werden keine Juden sein, es sei denn, dass sie sich zur Konversion entschliessen, die ihnen relativ leicht gemacht wuerde. Dass Rabbiner nicht-juedische Frauen als Gefahr fuer das juedische Volk sehen, halte ich fuer schwer uebertrieben. Noch vor zwei Generationen gab es so gut wie keine Eheschliessungen zwischen Katholiken und Protestanten. Soweit ich weiss, laesst die kath. Kirche solche Ehen immer noch nicht zu. Sollte das auf Angst um den Fortbestand des Katholizimus zurueckgehen? Doch wohl eher nicht. Katholische und juedische und vermutlich noch jede Menge anderer Kleriker halten dafuer, dass die Religion eine wichtige Grundlage der Familie ist, so dass sie Heiraten zwischen Menschen mit unterschiedlicher Religion fuer problematisch halten. Die Ausnahme im Islam – Muslime duerfen christliche oder juedische Frauen heiraten – scheint mir nichts mit Toleranz zu tun zu haben, sondern die Rolle der Frau in der Ehe niedrig einzuschaetzen.
Bei einer orthodoxen Hochzeit gibt es beispielsweise einen Vertrag, nachdem der Bräutigam der Familie der Braut eine gewisse Summe für ihre Tochter zahlt. Aber ich will Noa nicht kaufen.
Das ist falsch. Die Summe, die in der Ketubba definiert wird, ist eine Abfindung, die an die Braut selber zu zahlen ist, wenn der Mann sich spaeter scheiden lassen will. Die Braut wird also nicht gekauft, sondern gegen ein Scheitern der Ehe abgesichert. In Zeiten, als es noch keine Unterhaltszahlungen gab, war das eine sehr frauenfreundliche Massnahme!
Die Leserkommentare in der SZ zeigen sehr deutlich, welche psychischen Beduerfnisse der Artikel befriedigt: Die Kommentatoren WM2000, roberto.o, Herr Rabe und MuahDib assoziieren sofort die Nuernberger Gesetze (nicht etwas katholische Trauungen!). Das lassen sie sich auch von Lally und Wurstwesen nicht ausreden und belegen damit ihren Antisemitismus.
Die Redaktion leistet genau diesen Assoziationen Vorschub. Das wird mE belegt durch den falschen Untertitel (die Redaktion, nicht der Journalist ist verantwortlich), durch die Hervorhebung der verzerrenden Behauptung „Viele sind jüdisch genug fürs Militär – aber nicht, um heiraten zu dürfen“ als Zwischentitel und last not least durch die hetzerische Aufforderung, den zweiten Teil zu lesen. Die Journalistin Sarah Stricker wuerde ich dagegen von diesem Vorwurf freisprechen, ihr sind ein paar kleinere Ungenauigkeiten unterlaufen, aber insgesamt hat sie eine zutreffende und nette Schilderung des israelischen Heiratstourismus vorgelegt.
Und warum haben es interkonfessionelle oder nicht konfessionelle Brautleute so schwer in Israel?
Die Antwort liegt im israelischen Wahlrecht. Israel hat keine 5% Huerde. Die Huerde lag lange bei 0.5%, dann 1% und derzeit bei 1.5%. Das bedeutet, dass die Parteienlandschaft wild zersplittert ist und die grossen* Parteien haeufig auf Kleinstparteien angewiesen sind, um eine stabile** Koalition bilden zu koennen. Dadurch erhalten Kleinstparteien ueberproportionalen Einfluss. Davon profitieren seit der Staatsgruendung vor allem ultraorthodoxe und orthodoxe Parteien, die ihre Waehler jederzeit mobilisieren koennen und ihre Abgeordneten in straffer Disziplin halten. Auch Lieberman, der seinen Waehlern im letzten Wahlkampf die Zivilehe versprochen hat, konnte nur ein sehr abgespecktes Modell liefern. Shas wurde in der Koalition gebraucht und Israel Beitenu ist keine „Ein-Thema-Partei“, sondern willens Regierungsverantwortung fuer das ganze Land zu uebernehmen.
Die Loesung waere meiner Meinung nach eine Aenderung des Wahlrechts. Die Haelfte der Knessethabgeordneten sollten wie in Deutschland in Wahlkreisen gewaehlt werden. Das Prinzip des Wahlkreises (Winner takes it all) wuerde die Zersplitterung etwas mildern. Auch entstuende damit eine direkte Beziehung zwischen Waehlern und Abgeordneten, waehrend der Abgeordnete derzeit eigentlich nur dem Zentralkommitee seiner Partei verpflichtet ist.
* gross = maximal ein Viertel der Abgeordneten, haeufig aber auch weniger
**Ich habe, in den 15 Jahren, die ich in Israel lebe, nie erlebt, dass eine Koalition eine ganze Amtsperiode durchgehalten haette.
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Filed under: Propaganda | Tagged: Antisemitismus Redaktion SZ, Gleichsetzung Nazis Israel Antisemitismus, Sueddeutsche Zeitung, Wahlrecht Israel | 30 Comments »
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