Reiner Bernstein dokumeniert die Dankesrede des palaestinensischen Pastors Mitri Raheb, als ihm unlaengst der Deutsche Medienpreis verliehen wurde, zur Gaenze im Journal 21 . Er verspricht sich davon, den Kritikern der Verleihung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Gegenueber ideologisch gleichgeschalteten oder einfach desinformierten Lesern mag das gelingen. Wenn man sich aber ein wenig mit den tatsaechlichen Verhaeltnissen im Nahen Osten beschaeftigt hat, vermittelt die Rede etwas ganz Anderes.
Auffallend ist, dass Israel kaum erwaehnt wird.
Geboren unter jordanischer Herrschaft, erlebte ich mit fünf Jahren den Beginn der israelischen Besatzung von Bethlehem. Ich bin nicht einmal 50 und habe schon 9 Kriege miterleben müssen. Als Arafat und Rabin 1994 den Friedensnobelpreis erhalten hatten, da habe ich noch gedacht, dass Israelis und Palästinenser endlich in Frieden leben werden. Aber es kam erstens anders und zweitens als erwartet. Beide sind Hetzkampagnen zum Opfer gefallen.
Damit ist der historische Hintergrund schon abgehandelt. Jordanische Herrschaft versus israelische Besatzung. Arafat und Rabin als Opfer von Hetzkampagnen, wobei Rabin von einem Fanatiker ermordet wurde, waehrend Arafat in einem franzoesischen Krankenhaus an Aids starb. Wer gegen wen und warum Krieg fuehrte, wird dahingestellt.
Frieden im Heiligen Land muss unser aller Auftrag sein. Mauern zu bauen und Land für Siedlungen zu enteignen, wie jetzt um Bethlehem der Fall, oder Gewalt anzuwenden egal aus welchem Grund und auf welcher Seite, darf nicht einfach hingenommen werden.
Der Sperranlage, die bei Bethlehem tatsaechlich zum Teil eine Mauer ist und den Siedlungen, fuer die seit fast 20 Jahren keinerlei Land enteignet wird, leistet Pastor Raheb den obligatorischen Lippendienst. Interessant ist der Punkt Gewalt. Dabei wird betont, dass weder die Begruendung der Gewalt noch die Seite, welche die Gewalt anwendet, als Rechtfertigung fuer Gewalt dienen koennen.
Diese Qualifikation waere unnoetig, wenn Pastor Raheb Israel der Gewaltanwendung beschuldigen wollte. Zum Bau der Sperranlage vermerkt er ja auch nicht, dass auch Schutz vor Terroranschlaegen keine Mauer rechtfertige. Das vorsichtige „auf welcher Seite“ ist ein klarer Hinweis, dass Pastor Raheb an die Unterdrueckung durch muslimische Palaestinenser denkt.
Auch aus der Beschreibung der Aktivitaeten seines Zentrums geht dies ziemlich deutlich hervor:
Lebensräume zum Aufatmen, wo Kinder aus Flüchtlingslagern musizieren; wo Frauen aus entlegenen Dörfern einen Beruf im Kunsthandwerk erlernen; wo christliche und moslemische Kinder gemeinsam zur Schule gehen; wo junge Männer, die keinen Job auf dem Arbeitsmarkt finden, weitergebildet werden; wo Führungskräfte eine politische Bildung bekommen; wo junge palästinensische Frauen Fußball spielen und weltweit konkurrieren, wo Senioren in Würde ein Leben in Fülle führen können, und wo jüdische und palästinensische Akademiker und Aktivisten gemeinsam nach einer anderen Zukunft suchen.
Die Israelis hindern ja keine Frauen daran, einen Beruf im Kunsthandwerk zu lernen, auch solche aus entlegenen Doerfern nicht. Mit selbstaendigen Frauen haben Muslime ein Problem und in rueckstaendigen Doerfern ist das sicher ausgepraegter als in Staedten.
Israel besteht auch nicht auf einer Trennung der Bekenntnisse. Christliche und muslimische Kinder zusammen lernen zu lassen, soll die Vorurteile der Muslime gegenueber Christen ueberwinden helfen.
Die Weiterbildung von arbeitslosen jungen Maennern hat ebenfalls so gut wie nichts mit Israel zu tun. Offensichtlich moechte das Zentrum dem Leben solcher junger Menschen eine Richtung geben, damit sie nicht von den diversen Terrororganisationen aufgefangen werden.
Auch Politische Bildung fuer Fuehrungskraefte duerfte in erster Linie der PA ein Dorn im Auge sein. Nicht umsonst hatte Arafat nach Oslo als erstes alle palaestinensischen Graswurzelorganisationen zerschlagen.
Damenfussball stellt in Israel kein Problem dar, dagegen sehr wohl in muslimischen Gesellschaften, wo Frauen sich nach strenger Auffassung beim Sport auf Heimtrainer beschraenken sollten.
Erst ganz zum Schluss wird angehaengt, das Zentrum sei auch eine Begegnungsstaette fuer palaestinensische und juedische Intellektuelle. In Israel hat es nie an solchen Begegnungsstaetten gefehlt, auch nicht an Organisationen, die solche Begegnungen foerderten. Technisch schwierig wurden Begegnungen erst durch die Terrorwelle der sog. 2. Intifada. Die Einreise von Palaestinensern nach Israel musste deswegen streng ueberwacht werden und die Sicherheit von Israelis im Hoheitsbereich der PA konnte nicht mehr gewaehrleistet werden. Dieses Problem kann auch Pastor Rahebs Zentrum nicht loesen. Vielversprechender ist der israelische Ansatz, in unmittelbarer Naehe der Checkpoints Bueros mit den noetigen Einrichtungen zu schaffen, wo sich israelische und palestinensische Geschaeftsleute treffen koennen: Die Palaestinenser muessen den Checkpoint nicht durchqueren und die Israelis sind in Sicherheit, weil immer noch unter den wachsamen Augen der IDF.
Pastor Raheb muss in seiner Rede auf folgende Punkte Ruecksicht nehmen:
1) Er kann die PA, bzw. die lokalen Funktionaere in Bethlehem nicht offen kritisieren, weil er sonst Sanktionen gegen sein Zentrum oder gegen die eigene Person und seine Familie riskiert.
2) Die Menschen und Organisationen im Westen, die als Spender fuer seine Aktivitaeten in Frage kommen, sind nicht daran interessiert, dass palaestinensische Faktoren kritisiert werden. Sie haben schon laengst Israel in der Rolle des Verantwortlichen ausgemacht.
Die beste Taktik ist daher, wie in der Rede angewendet, eine amorphe Kritik an Gewalt und Gewaltkultur. Konditionierte Europaeer verstehen dann, dass Israel gemeint sei, und die tatsaechlich gemeinten Palaestinenser brauchen sich nicht angesprochen fuehlen.
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