Zum juengsten, israelischen „Landraub“


Die FAZ berichtete mit folgender Schlagzeile und Zusammenfassung:

Israel will sich 400 Hektar Land einverleiben

Wenige Tage nach dem Beginn der Waffenruhe im Gaza-Krieg hat der israelische Verteidigungsminister Jaalon eine der größten Landnahmen seit Jahrzehnten angeordnet.

Da schrillten bei mir schon die Alarmglocken. Das besagte Land liegt in den Besetzten Gebieten. Nach meinem bestem Wissen und Gewissen hat Israel nicht vor, das Westjordanland zu annektieren. Wenn die Gebiete selber aber nicht zu Israel gehoeren, wieso kann dann von Landnahme gefaselt werden, wenn bestimmte Flaechen als „Staatsland“ (im Unterschied zu privatem Landbesitz) definiert werden? In einem Friedensabkommen mit der PA erhielten die Palaestinenser einfach 400 Hektar Land, bei dem die Besitzverhaeltnisse geklaert und keine Privateigentuemer gefunden wurden.

Heute fand ich einen ausfuehrlichen Hintergrundartikel zum Thema, den ich fuer meine Leser ins Deutsche uebersetze:

 Zu Israels Entscheidung, 400 Hektar Westjordanland als Staatsland zu deklarieren

Die gegenwaertige Entscheidung der israelischen Zivilverwaltung, 988 Acres [X 0.40468564224 = 399.82937 Hektar] als Staatsland zu definieren, hat fuer viel Verwirrung gesorgt. Im Allgemeinen kann das Gebiet des Westjordanland in drei Kategorien eingeteilt werden: Staatsland, Land in Privatbesitz und Land, dessen Status geklaert werden muss. Das Gebiet, um das es geht, hatte bisher den zu klaerenden Status.  Bevor eine neue Klassifizierung stattfinden konnte, musste eine Untersuchung durch die israelische Zivilverwaltung durchgefuehrt werden, die mehrere Jahre in Anspruch nahm, um den exakten Status zu klaeren.

Wer die gegenwaertige Entscheidung ablehnt, kann innerhalb von 45 Tagen gegen die israelische Entscheidung Einspruch erhalten. In Faellen, bei denen Palaestinenser Eigentumsnachweise zu umstrittenem Land beibringen konnten, haben israeliche Gerichtshoefe, einschliesslich des Obersten Israelischen Gerichts, Entscheidungen gefaellt, wonach die israelische Regierung den palaestinensichen Klaegern das Land zurueckerstatten muss, sogar, wenn das bedeuten sollte, dass Privathaeuser von israelischen Buergern entfernt werden muessen. Die Definition von Land als Staatsland im Gegensatz zu Land in Privatbesitz ist ein wichtiger Schritt, der hilft, Irrtuemer zu vermeiden, wenn das Land spaeter erschlossen wird.

Beim Betrachten dieser Entscheidung der israelischen Zivilverwaltung in einem weiteren, diplomatischen Kontext  sollte man sich erinnern, dass das Oslo II Interimsabkommen (unterzeichnet von Yitzhak Rabin und Yasser Arafat im Weissen Haus 1995 und bezeugt von der EU) das Westjordanland in drei Bereiche unterteilte: Gebiet A, wo die Palaestinenser volle Kontrolle ausueben, Gebiet B, wo Israelis und Palaestinenser sich die Sicherheitskontrolle teilen, die Palaestinenser aber volle zivile Gewalt ausueben, und Gebiet C, wo Israel sowohl militaerisch wie auch zivil volle Kontrolle besitzt. Israels Verantwortung im Gebiet C schliesst die Erstellung von Flaechennutzungsplaenen mit ein. Das Gebiet, das Israel nun zu Staatsland erklaert, liegt im Bereich C.

Die Architekten der Oslovertraege verstanden sehr wohl, dass die Palaestinenser die Gebiete unter ihrer Jurisdiktion entwickeln wuerden und die Israelis die Gebiete unter ihrer Kontrolle ebenfalls. Das ist der Grund, warum in den urspruenglichen Oslosvertraegen kein Siedlungsstopp vorkommt. Im Laufe der Jahre wurden die Palaestinenser Zeuge davon, dass die kuenftigen israelischen Grenzen durch Verhandlungen und nicht durch Siedlungen bestimmt werden; schliesslich hat Israel alle Siedlungen im Sinai abgebaut , als es 1979 mit Aegypten Frieden schloss und es hat alle Siedlungen aus dem Gazastreifen abgezogen im Rahmen des einseitigen Abzugs aus dem Gazastreifen 2005.

Darueber hinaus handelt es sich bei diesem Land um einen Teil des Siedlungsblocks, der suedlich von Jerusalem liegt und als „Gush Etzion“ bekannt ist, das vor 1948 von Juden besiedelt worden war, aber im Unabhaengigkeitskrieg verloren wurde, als es von arabischen Truppen angegriffen wurde. In den letzten Verhandlungsrunden wurde es sowohl Israelis wie auch Palaestinensern zunehmend klar, dass Israel am Ende, wenn ein Kompromiss erreicht werden wird, die Siedlungsbloecke behalten wird. (Die Resolution des UNO Sicherheitrats 242, wie sie nach dem 6-Tage-Krieg formuliert wurde, sah ohnehin nie einen vollen israelischen Rueckzug auf die Linien von vor 1967 vor.)

Die Entscheidung, dass Israel Siedlungsbloecke behalten wird, spiegelt sich in der diplomatischen Korrespondenz der USA wider, wie z.B. dem Brief von Praesident Bush an den frueheren Premierminister Ariel Sharon von 2004, ebenso die Stellungsnahme von Praesident Obama 2011 zu demographischen Veraenderungen vor Ort und Anpassungen der Linien von 1967. Der am wenigsten umstrittene von diesen Siedlungsbloecken ist Gush Etzion.

Schliesslich geht es noch um die Frage der Legalitaet, die viele Jahre ein Punkt war, zu dem Uneinigkeit herrschte. Die Frage der Legalitaet ruehrt von Artikel 49 der IV. Genfer Konvention von 1949, welcher verbietet, die Bevoelkerung in besetztem Gebiet aus diesem Gebiet zu entfernen. Der letzte Abschnitt des Artikels verbietet auch den Transfer der Bevoelkerung der Besatzungsmacht in besetztes Gebiet. Nach Auffassung von israelischen Juristen und wichtigen US Juristen (wie Eugene Rostow, der fruehere Dean der Yale Law School) bezieht sich dieser Absatz auf den gewaltsamen Transfer der Bevoelkerung des Besatzers in besetztes Gebiet. Diese Formulierung wurde nach dem II. Weltkrieg hinzugefuegt, als Reaktion auf die Politik Nazideutschland, deutsche Juden gewaltsam zu ihrer Vernichtung ins besetzte Polen zu schaffen. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass das Israelische Oberste Gericht nie entschieden hat, die Siedlungen seien illegal, trotz der Bekanntmachungen von verschiedenen Aussenministerien im Rest der Welt.

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Eine Antwort

  1. […] kann es irgendwann mal, von wem auch immer für Bautätigkeit erschlossen werden – es ist lediglich der Rechtsstatus dieses Landes geklärt worden. Mahmud Abbas schäumt, das lasse die Friedensgespräche weiter niedergehen. (Der Gush […]

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