Erleichterung bricht aus


Mein Vertrag ist unter Dach und Fach und passabel ausgefallen. Am Sonntag beginne ich meine neue Stelle. Mein neuer Chef macht einen sehr sympathischen Eindruck auf mich.

Die Familienlogistik ist einigermassen geregelt. Die Maedchen sind halbwegs darauf vorbereitet, nun keine staendig verfuegbare Mutter zu haben. Dafuer werden sie etwas mehr Vater abkriegen als auch schon.

Ich habe manche Nacht schlecht geschlafen und mich gefragt, ob ich wohl einem beruflichen Abstieg zustimmen muss. Dadurch, dass ich die Kinder spaet bekommen habe, konnte ich die Jahre, in denen andere aufsteigen, nicht nutzen, bzw. ich habe mich bewusst dafuer entschieden, der Kindererziehung Vorrang einzuraeumen. Das haette sich jetzt raechen koennen. Ich habe Glueck gehabt.

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Das Schuljahr neigt sich


Daher sind Abschlussfeiern angesagt. Ich war dieses Jahr mal wieder dumm genug, mich als Elternrat fuer die Klasse der Grossen zur Verfuegung zu stellen. Eigentlich waren wir drei Muetter gewesen, aber ich fand mich innerhalb von ein paar Wochen allein auf weiter Flur. Dazu war die Zahlungsmoral schlecht. Von 20 Familien haben mir bis zum Schluss nur neun ihren Obolus bezahlt.

Zu Chanukka und fuer einen Besuch bei einer Gerichtsverhandlung (mit anschliessendem Durchspielen eines Falles unter Anleitung von juristischem Personal) hatten wir schon Ausgaben gehabt. Ausserdem muss etwas beiseite gelegt werden, um der Klassenlehrerin ein Geschenk zu kaufen. In diesem Fall zwei Klassenlehrerinnen und zwei Geschenke, weil die urspruengliche Klassenlehrerin leider mitten im Schuljahr schwer krank wurde und ersetzt werden musste.

Fuer eine Abschlussfeier blieb daher nur ein kleines Budget. Ich entschied mich einen „Kummsitz“ (Jiddisch fuer Komm, Sitz) um’s Lagerfeuer. Am Freitag sah ich zufaellig einen gefaellten Baum mitten in der Stadt und lud passende Holzstuecke und Aeste in den Kofferraum. Wuerste, Huehnchenfluegel und Kebab grillte ich schon zu Hause, wobei mir eine Nachbarin half. Die Kinder waren fuer’s Roesten der Pitot und spaeter fuer Spiesschen mit Marshmellow zustaendig.

Die Grosse, ihre beste Freundin, ein Junge, der sich nicht ganz entscheiden kann, in welche der beiden er verliebt ist, und die Kleine halfen mir beim Bauen des Holzstosses und beim Arrangieren der Decken. Ich selber empfand keine Lagerfeuerromantik, dazu war ich zu muede und zu konzentriert aufzupassen, dass niemand sich verbrennt. Aber die Kinder haben es anscheinend genossen:

Medura

End of school year

Geschichte eines Lakens oder Ode an meine Mutter


Vor vielen Jahren empfand meine Mutter, dass sie mit Haushalt und Kindern (sieben insgesamt) nicht mehr voll ausgelastet war, weil die Aelteren schon in verschiedenen Staedten studierten. Sie suchte sich sinnvolle Beschaeftigung.

Zunaechst half sie in der Leihbuecherei aus und gehoerte bald zum Team. Dann gruendete sie mit anderen Frauen eine Floetengruppe. Zur Adventszeit gaben sie kleine Konzerte im Altenheim. Dort kam ihr noch ein Gedanke: Sie bot im Altenheim den Leuten regelmaessig ihre Naehkuenste an. Reissverschluesse mussten ausgetauscht, Roecke enger gemacht, Hosen gekuerzt werden. Als die Heimleitung langsam auf Leintuecher mit Gummizug umstieg, war es naheliegend, die aussortierten Laken der fleissigen Naeherin anzubieten. Meine Mutter nahm den Stapel  Leintuecher dankend entgegen und brachte sie nach Hause. Dann ueberlegte sie, wofuer die Leintuecher gut sein koennten. 

Schliesslich fielen ihr Transparente ein. Da die Chancen, dass sie an einer Demonstration teilnehmen wuerde, doch ziemlich klein waren, verteilte sie die Laken an ihre studierenden Kinder. Auch ich bekam ein paar davon.

Die begleiteten mich, von Muenchen nach Bern und wieder zurueck, dann nach Jerusalem, schliesslich Beer Sheva und auch in die Wohnung, die wir fuer unsere Familie kauften. Die Laken dienten als Waende und Tueren bei diversen Laubhuetten,  deckten bei Kindergeburtstagen schon mal den Teppich, dienten zum Verkleiden und fuer Zelte, die um das Etagenbett errichtet wurden. Sie haben sich ihre Miete redlich verdient. Nur zu Demonstrationen gelangten sie nie.

Als ich gestern nacht mit einer Gruppe Eltern ueber die geplante, kleine Demonstration nachdachte, meinte eine Frau, dass wir Schilder braeuchten. Aber niemand hatte grosse Stuecke Pappe im Haus. Da lehnte ich mich im Stuhl zurueck und bot an, ein Leintuch zu beschriften. „Schade um das Leintuch“, rief die Frau sofort. Ich laechelte souveraen und verkuendete, dass ich zu den Leuten gehoere, die fuer solche Zwecke immer ein altes Laken aufbewahren. Eine andere Frau gab mir noch die Fingerfarben auf den Weg.

So kam ich gegen Mitternach nach Hause, wo alles schlief. Das Laken konnte ich gleich greifen, ohne die Grosse zu wecken, es war naemlich in einer Schublade unter ihrem Bett. Ich breitete es auf dem Kuechenboden aus und machte mich an die Arbeit. Paralell backte ich Pizza, damit am naechsten Tag auch etwas zu essen im Haus waere. Pizza und Transparent gelangen gut. Am Morgen stand ich frueh auf. Die Farben auf dem Laken waren getrocknet. Jetzt musste ich noch den Kuechenboden waschen, bevor mein Mann den Herzkasper bekommt, weil er immer davon ausgeht, dass Farbflecken nicht entfernt werden koennen.

Die Maedchen hoerten mich rumoren und standen auch gleich auf. Die Aussicht auf eine „echte“ Demonstration animierte sie. Sie waren auch stolz auf ihre Transparente malende Mutter. Nur fanden sie, ich haette noch ein paar Ausrufezeichen anbringen sollen.

Heute abend sass die Familie um den Tisch und ass Pizza. Dazu erzaehlte ich die Geschichte des Leintuchs. Jeder war auf seine Weise geruehrt. Mein Mann angesichts der so praktisch ausgedachten Mitzvot seiner Schwiegermutter. Die Maedchen staunten ueber die Vorsintflutlichkeit des bewussten Lakens. So viel hat es schon gegeben, lange bevor sie auf die Welt kamen. Und ich dachte dankbar an meine Mutter, von der ich nicht nur das Leintuch, sondern auch so manche Einstellung und Fertigkeit habe, die ich an mir nicht missen moechte.

Schluesselkinder


Seit Beginn dieses Schuljahres kommen die Maedchen vor mir nach Hause. Sie sperren die Tuer mit dem eigenen Schluessel auf, waermen sich das Essen, das ich fuer sie im Kuehlschrank lasse und idealerweise machen sie sich danach an die Hausaufgaben. In der Realitaet schalten sie stattdessen den Fernseher ein. Das ist aber halb so schlimm, seit mein Mann alle bedenklichen Kanaele blockiert hat, so dass sie nur die Wahl zwischen einem anspruchslosen Kleinkinderprogramm und National Geographic haben.

Gestern endete der Unterricht wegen Purim schon frueher als sonst. Ich brachte die beiden und die beste Freundin der Grossen nach Hause und kehrte wieder ins Buero zurueck. Eine Stunde spaeter klingelte das Handy: Die Kleine weinte mir etwas vor, dass die Grosse und die beste Freundin nicht nett zu ihr seien. Ich bat die Grosse ans Telefon und sagte ihr, dass die Freundin nur solange bei uns willkommen ist, als kein Streit entsteht. Entweder sie versoehnten sich gleich wieder oder ich muesste der Mutter der Freundin Bescheid geben. Eine halbe Stunde spaeter rief ich an, um mir den weiteren Verlauf berichten zu lassen, aber niemand nahm den Hoerer ab. Ich zaehlte die Minuteten bis zum Ende meines Arbeitstages und stuermte zum Auto. Als ich um die Ecke auf den Parkplatz bog, sah ich die Grosse und die Freundin miteinander flanieren. Fenster auf und gleich gebruellt: „Ich habe dir gesagt, dass du die Kleine nicht allein lassen darfst!“ Die Grosse erklaerte, sie waeren im Park gewesen und dann habe die Freundin auf’s Klo gemusst. Ich parkte und ging dann hinter den beiden zum Park. Die Grosse und ihre Freundin riefen nach der Kleinen und waren bleich im Gesicht, als ich sie erreichte. Im Park war niemand, die Kleine nicht zu sehen. Ich wurde auch blass und fing an zu rufen. Bevor ich ganz in Panik geriet, tauchte die Kleine wieder auf. Sie hatte sich Sorgen gemacht, weil ihre Schwester so lang wegblieb und wollte sie suchen gehen…

Ich brachte die Kleine zum Ballett, die Grosse und ihre Freundin durften noch einmal in den Park, nachdem sie das allergroesste Durcheinander, das sie in der Wohnung veranstaltet hatten, aufgeraeumt hatten und das Handy eingepackt hatten. Schon auf dem Rueckweg rief ich die Grosse auf eben diesem Handy an, sie solle sich fuer ihren Ballettunterricht parat machen. Am anderen Ende weinte es, sie habe den Schluessel verloren, koenne gar nicht ins Haus. Ich wies sie an, neben der Tuer auf mich zu warten, ich waere gleich da. Als ich wieder um die Ecke auf den Parkplatz bog, sah ich die Grosse und ihre Freundin schon wieder in Richtung Park laufen. Sie wollten den Schluesel suchen. Meine Anweisung, neben dem Eingang auf mich zu warten, war offensichtlich bei einem Ohr rein und beim anderen rausgegangen… Als ich die Grosse zu ihrem Ballettunterricht gebracht hatte, ging ich selber zum Park, um den Schluessel zu suchen. Die Mutter der Freundin rief hinter mir her: Der Schluessel war schon gefunden, die Freundin brachte ihn mir.

Am Abend hatten wir ein ernstes Gespraech. Die Grosse war sehr geknickt, die Kleine versuchte, alle Schuld selber zu uebernehmen. Mein Mann war nachtraeglich entsetzt beim Gedanken, was alles haette passieren koennen. Folgende Beschluesse wurden gefasst:
Freundinnen koennen nur zu Besuch kommen, wenn ein Erwachsener zu Hause ist.
Das Verbot, ein Maedchen allein zu lassen, ganz egal wo, wurde noch einmal verstaerkt.
Die Grosse soll eine Liste erarbeiten, was konkret ihre Verantwortung ist.
Fuer die Pessachferien muss eine Betreuung gefunden werden.

Die Liste wurde in Teamarbeit der beiden Schwestern verfasst. Sie wurde so gut, dass mein Mann sie kopieren und in beiden Maedchenzimmern aufhaengen will.

Mir waere wohler, ich koennte jeweils zu Hause sein und die Maedchen nach der Schule in Empfang nehmen. Wer weiss, wenn die Wirtschaftskrise so weitermacht, ist meine Firma vielleicht noch froh, wenn sie mir nur Teilzeit bezahlen muessen.

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