Shoahgedenktag


Bekanntlich begeht Israel seit gestern abend das jaehrliche Gedenken an die Holocaustopfer.

Schon seit letzter Woche reden die Maedchen darueber. Vor allem die Kleine ist aufgeregt. Die Begriffe und Vorstellungen sind ihr nicht klar. Wer waren denn die Nazis? Abwechselnd versucht sie Nazis mit Deutschen oder mit Christen gleichzusetzen, entsprechend der Doppelfunktion der Judenheit als Volk und des Judentums als Religion. Ich widerspreche und versuche ihr zu erklaeren, was eine Ideologie ist. Sie kann das nur im Rahmen des Religioesen einordnen und erklaert, dass die Nazis wohl Hitler angebetet haben.

Gestern dann fragte sie, wann die Shoah denn gewesen waere. Ich sagte sie, zwei Jahreszahlen solle sie sich schon mal merken: 1945 Ende des 2. Weltkrieges und 1948 Gruendung des Staates Israel. Sie rechnete sich aus, wieviele Jahre seit 1945 vergangen waren. Aber das beantwortete ihre Frage nicht. Ich entgegnete, dass wir immerhin ein Enddatum haetten. Um die Dauer bestimmen zu koennen, muessten wir nun definieren, wann die Shoah angefangen haette und das sei nicht ganz eindeutig. Sie entschied sich schliesslich, dass sie die Machtergreifung als Anfang setzen will. Die Grosse hatte halb und halb zugehoert. Nun fragte sie nach, wie Hitler denn an die Macht gekommen sei? Ich erklaerte das Ermaechtigungsgesetz. Spaeter am Abend fragte mich mein Mann, ob die Kinder denn gar keinen Geschichtsunterricht haetten in der Schule? Er habe in der 5. Klasse schon Geschichte gelernt. Nein, haben sie nicht. Und dieses Jahr finde ich das besonders eigenartig, wie kann zur Shoah unterrichtet werden, ohne historische Grundlagen?

Bald, nachdem die Maedchen ins Bett gegangen waren, hoerte ich leises Tuscheln aus dem Zimmer der Kleinen. Ich schaute nach und fand beide im gleichen Bett, und Katerchen machte es sich auch gerade dort bequem. Sie erklaerten mir, dass sie ein bisschen Angst haetten, weil sie so viel ueber den Holocaust gehoert haetten, deswegen wollten sie zusammen sein. Ich schlug vor, die Grosse solle im Gaestebett im Zimmer ihrer Schwester schlafen. Dann sang ich beide in den Schlaf, die unveraenderte Liederkette, die ich seit Geburt der Grossen bis zur Aufteilung in zwei Zimmer vor einem Jahr jeden Abend zum Einschlafen gesungen habe. Der Pawloffsche Effekt trat nicht wie gewuenscht ein. Die Kleine fragte mich, ob sich die Shoah wiederholen koennte. Ich antwortete, dass nie zweimal das Gleiche passiert. Sie beschaeftigt sich gerade mit Narnia und sagte, dass Aslan das auch sage. Aber dann fragte sie, ob denn etwas Aehnliches passieren koenne. Da konnte ich sie leider nicht beruhigen. Sie schliefen irgenwann doch ein. Aber um Mitternacht wanderte trotzdem eine verstoerte Grosse in meine Arme.

Als die Sirene heute um 10 ertoente, stand ich in meinem Buero und dachte auch an die Maedchen, die jetzt auf dem Schulhof versammelt sind. Die Fahne auf Halbmast, die Sirene besonders laut, weil sie auf dem benachbarten Schuldach angebracht ist. Wenn das Programm zeitgenau durchgefuehrt werden konnte, ist der groesste Teil des Zeremoniells vorbei. Ich weiss nicht, welche Aufgabe die Grosse dieses Jahr bekommen hat. Mein Buero ist jetzt zu weit entfernt, als dass ich haette vorbeischauen koennen. Ich hoffe, heute abend loest sich die Spannung wieder.

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Nachtgedanken


Der heutige Tag war vor allem meiner Freundin gewidmet. Ihre Prognose ist nicht gut. Auf der Plusseite kann vermerkt werden, dass sie keine Schmerzen hat, sondern nur sehr schwach ist. Sie hat sich entschlossen in die Schweiz zurueckzukehren. Da sie nicht mehr allein reisen kann, werde ich sie begleiten. Heute war ich bei ihr. Sie hat mich mit ihrer Schwester und ihrem Bruder in Kontakt gebracht, mit denen zusammen ich den Flug plane und buche. Wir haben auch schon ihre Koffer gepackt. Ihre Tapferkeit beeindruckt mich. Sie weiss sehr genau, was sie will, was getan werden muss und packt es an.

Zuhause erzaehle ich den Kindern von der bevorstehenden Reise. Erst maulen sie ein bisschen, aber ich bleibe wirklich nicht lange weg. Dann sage ich ihnen, dass es gut sein kann, dass sie diese Freundin nie wiedersehen werden. Wenn sie Abschied nehmen wollen, muessen sie das waehrend der kommenden Woche tun.

Die Grosse konnte das nicht an sich herankommen lassen. Sie verschwand in ihrem Zimmer und in einem Buch. Die Kleine reagierte anders.

Hier muss ich eine Anekdote einschieben. Vor drei Jahren war unser Sommer in Europa furchtbar verregnet, so dass wir fast jeden Tag ins Museum gingen. Eines Tages waren wir im Naturhistorischen Museum in Basel, das ich schon als Kind geliebt habe. Inzwischen ist es natuerlich modernisiert worden, und die Ausstellungsraeume sehen ganz anders aus. In einem Saal geht man auf ein lebensgrosse Mammuth zu. Links davon an der Wand ist der Abguss eines ganz kleinen Mammuths, das sein junges Leben verlor, als es in ein Moor geriet. Die Umstaende des Funds werden auf einer Schautafel darueber beschrieben. Ich las mit Interesse und bemerkte erst nach einer Weile, dass die Kleine leise schluchzend neben dem Mammuthbaby kauerte. Waehrend unserem weitern Rundgang durch das Museum kehrte sie noch zweimal zu ihm zurueck und weinte um das Baby und die Mammutmutter, die ihr Kind verlor.

Heute Abend leitete sie das Gespraech so ein: Sicher sei ich sehr traurig. Dann hatte sie eine Reihe von Ideen, wo und wann sie fuer diese Frau beten koenne. Sie will ihr auch eine Gute-Besserung-Karte malen, um sie auf frohe Gedanken zu bringen. Ausserdem wuerde sie gern mit den Aerzten sprechen, das musste ich ihr ausreden.

Vom Zelten im Speziellen II oder mein Mann behaelt auch manchmal Recht


In der Pessachwoche sollten die Maedchen eigentlich bei den Schwiegereltern sein, waehrend mein Mann und ich arbeiteten. Meine Schwaegerin hatte aber die gleiche Idee, was ihre beiden Soehne angeht, so dass meine Schwiegermutter schon Mitte der Woche S.O.S. signalisierte. Wir nahmen also Urlaub und fuhren Mittwoch in den Norden, um unseren Nachwuchs einzupacken. Am Donnerstag morgen brachen wir auf. Trotz des heissen Wetters wanderten wir ein bisschen im Nachal Hashofet,

das aber deutlich weniger Wasser fuehrte als auf dem Bild.

Danach wollten wir auch nicht gleich nach Hause fahren, sondern am Nizzanim Strand zwischen Ashkelon und Ashdod zelten.

Zelt, Grill etc. hatten wir alles schon eingepackt. Leider hatte ich voellig uebersehen, dass genau in diesen Tagen dort das Boombamela Festival stattfand. Dafuer sind die Maedchen noch ein bisschen zu klein, und wir wahrscheinlich schon zu alt und spiessig.

Nun gibt es weiter suedlich ja auch sehr schoene Straende.

ABER sie befinden sich bereits im Kassamradius. Die Maedchen tobten und weinten, weil sie sich schon auf’s Zelten gefreut hatten. Ich haette nachgegeben und mich damit gerechtfertigt, dass das Risiko, von einer Kassam getroffen zu werden, wahrscheinlich auch nicht groesser ist als die Gefahr, auf der Rueckfahrt in einen Autounfall verwickelt zu werden. Mein Mann legte sein kategorisches Veto ein.

Und er hatte Recht: Am Freitag morgen, wenn wir am Strand aufgewacht waeren, gingen vier Kassamrakenten auf den Sueden Ashkelons nieder. Auch wenn wir nicht getroffen worden waeren, so haetten wir doch das Pfeifen der Raketen und die Einschlaege gehoert. Die Kinder haben das schon einmal erlebt, als sie beim Ausbruch des Libanonkrieges bei den Grosseltern im Norden waren.

Schliesslich habe ich das Zelt einfach im Park neben unserem Haus aufgeschlagen und auf unserem Balkon gegrillt. Den Maedchen hat es auch gefallen. Mein Mann durfte im Bett schlafen und ich hatte die Nachtwache im Zelt. Der Park wird nachts zum Treffpunkt von Jugendlichen, die viel Laerm machen, aber – das habe ich bei dieser Gelegenheit festgestellt – eigentlich ganz liebe Kinder sind.

Knapp!


Am Freitag Mittag (das heisst, zu der Zeit, wo Eltern ihre Kinder aus dem Kindergarten abholen) traf eine Kassamrakete einen Kindergarten im Kibbutz Nir Am. Qassam damages nursery, children unharmed

Man beachte die Schrappnelloecher in der Wand des Kindergartens.

In diesem Gebaeude wird eine Gruppe von Kleinkindern, anderhalb bis zwei Jahre alt, betreut. Die wenigen Sekunden vom Alarm bis zum Einschlag der Rakete reichten der Kindergaertnerin (ein hohes Lob fuer ihre Effizienz, bestimmt hat sie das mehrfach geuebt, sonst haette es mit dieser Altersgruppe nicht geklappt!) die Kinder in das Gebaeude zu bringen. Am Freitag war das Wetter naemlich so schoen (nicht zu heiss, nicht zu kalt und kein Sand in der Luft), dass die Kinder natuerlich draussen spielten.

Und jetzt stellt Euch bitte vor, dass die Metallsplitter nicht in die Wand, sondern in die Koerper von zweijaehrigen Kindern eingedrungen waeren. Shomer Israel!

Wir sind zum uebrigens Meer gefahren, weil das Wetter so schoen war. Nicht zum Strand von Zikim, obwohl der fuer uns am naechsten waere. Denn Zikim liegt im Kassambereich.

Statt 45 Minuten Autofahrt, mussten wir nun anderthalb Stunden fahren, bis nach Ashkelon und auch dort nicht zum Strand im Sueden, obwohl der eindeutig schoener ist. Nein, wir nahmen den allernoerdlichsten Strand.

Auf der Fahrt fragte unsere Kleine (7 Jahre alt): “Aber fallen dort nicht Katjushot?” Ich antwortete: “Sie kommen nur sehr, sehr selten so weit in den Norden. Du musst keine Angst haben. Wir wuerden nicht dorthin fahren, wenn das zu gefaehrlich waere.” Sie: “Aber am Strand haben wir ja keinen Schutz.” (Auch in unserer Schule gibt Uebungen, was die Kinder im Fall eines Raketenalarms tun muessen.) Mein Mann: “Du musst wirklich keine Angst haben. Du weisst doch, dass Imma und ich immer auf dich aufpassen.” Die Kleine: “Aber ich mache mir auch um euch Sorgen!”

Sie genoss das Meer dann doch sehr, und wir sind wieder um einen Eimer Muscheln reicher. Aber schon oefter dachte ich darueber nach, dass die Kindheit meiner Toechter in diesem Punkt anders ist als meine. Siebenjaehrige Kinder sollten nicht die Nachrichten verfolgen (und wir ermuntern das wirklich nicht) und sich Gedanken ueber Raketenangriffe machen muessen!

crossposted bei Freunden der Offenen Gesellschaft

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