Die Minuten vor der Sirene


am Gefallenengedenktag und am Holocaustgedenktag sind immer besonders spannungsreich. Dieses Jahr noch mehr als sonst. Dieses Jahr ist kritisch: Wird Israel einen Schlag gegen den Iran fuehren und wird der erfolgreich sein? In den Reden von Praesident Peres und Ministerpraesident Netanyahu gestern wurde deutlich angekuendigt, dass die Zeit des Opferbringens nicht vorbei ist, sondern dass uns Schweres bevorsteht. Ich habe Angst, aber der Alltag muss weitergehen. Diese Phase kann sich noch monatelang hinziehen. Die Gasmasken koennen wir ja schon mal anfordern.

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Meine Prognose fuer 2010


Ich werde wieder arbeiten. Beschreien moechte ich es nicht, aber uebermorgen treffe ich den CEO der Firma fuer das letzte Gespraech und die letzten Verhandlungen. Viel kann nicht mehr schiefgehen. Von den verschiedenen Firmen, bei denen ich mich beworben habe, hat mir diese am meisten gefallen.

Israel wird einen Schlag gegen das iranische Atomprogramm fuehren, stillschweigend unterstuetzt von den USA.

Dass Netanyahu ohne Gegenleistung einem Siedlungsstopp zugestimmt haben soll, halte ich fuer extrem unwahrscheinlich. Als der Siedlungsstopp von der Knesseth ratifiziert wurde und Benny Begin zustimmte, waren mein Mann und ich uns einig: Die Gegenleistung bezieht sich auf den Iran. Das erklaert auch die Geheimniskraemerei um das besagte Gespraech.

Iran wird nicht direkt zurueckschlagen, weil das Regime weiss, dass Israels Militaeraktion nur dann begrenzt bleibt, wenn kein direkter Schlag erfolgt. Stattdessen wird es versuchen, Syrien, Hisbollah und Hamas auf Israel zu hetzen. Ob und inwieweit Hamas im Gazastreifen zu einem ernsthaften Angriff bereit und faehig ist, wuerde ich mit einem Fragezeichen versehen. Die Erinnerung an die Aktion „Gegossenes Blei“ ist noch einigermassen frisch. Auch Syrien wird den gegenseitigen Verteidigungspakt sicher nicht so eng sehen, wenn Iran selber nicht in den Krieg zieht. Hisbollah auf der anderen Seite hat seit 2006 unter UN Aufsicht fleissig geruestet und fuehlt sich Israel gewachsen. Der Staat, der dadurch besonders bedroht ist, heisst Libanon. Da Hisbollah inzwischen ein Vetorecht in der Regierung besitzt und offiziell ermaechtigt ist, eine eigene Armee zu unterhalten, ist die Trennung zwischen Libanon und Hisbollah obsolet geworden.

eine Woche Krieg


Heute vormittag ging ich mit den Maedchen wieder zur (konservativen) Synagoge. Der Gottesdienst fand diesmal im Kindergarten der Gemeinde statt, weil man da naeher beim Schutzraum ist. Den Gesichtern der anderen Gemeindemitglieder sah ich an, dass sie in diesen Tagen doch einiges durchgemacht hatten. Eigenartig, dass erst eine Woche vergangen ist, seit dieser Krieg begonnen hat. Beim Beten spuerte ich erst, wieviel Angst ich selber gehabt hatte. Ich bin der Typ, der weder vor noch waehrend Pruefungen Angst hat, aber hinterher schlottern mir regelmaessig die Knie.

Ich glaube, bei uns ist das Groebste ueberstanden. Gestern hatten wir nur zweimal Raketenalarm und heute bis jetzt keinen.

Gestern abend bei den Nachrichten merkten mein Mann uebrigens, dass wir bei guter Sicht den Himmel ueber Gaza sehen. Wir bemerkten vom Balkon eine dunkle Rauchsaeule am Horizont, und in den 5-Uhr-Nachrichten sahen wir dieselbe Rauchsaeule, nur naeher, ueber Gaza-City.

Am Nachmittag ging ich mit den Maedchen ein bisschen in den Park. Sie waren seit drei Tagen nicht vor’s Haus gekommen und hatten langsam Anfluege von Koller. Am Anfang hatten sie noch ein bisschen Angst und hielten sich dicht bei mir. Dann begannen sie das schoene (aber kalte) Wetter zu geniessen. Die Grosse sprang Seil, die Kleine kurvte mit ihrem Roller los. Ich sah den Park mit ganz anderen Augen als sont: Wo koennte man sich notfalls hinkauern, wenn die Sirene ertoente? Ausser uns waren im Park nur: eine Mutter und ihr kleines Kind, ein Liebespaar und ein Mann, der seinen Hund ausfuehrte. Sonst ist der Park am Shabbat bei schoenem Wetter voller Familien mit Kindern.

In den 5-Uhr-Nachrichten von heute telefonieren die Nachrichtensprecher mit einem Mann namens Mohammed im Gazastreifen. Den Nachnamen habe ich nicht verstanden. Der Mann sagte, er hoere in der Naehe Luftangriffe und sei von seinen acht Kindern umgeben. Ueber die Leitung hoerte man weder Explosionen noch Kindergeraeusche. Er aeusserte sich sehr kritisch ueber Hamas. Der maennliche Moderator stellte fest, dass Mohammed sich sicher darueber bewusst sei, welches Risiko er mit solchen Aeusserungen eingeht und vermutete, dass er sich das trauen wuerde, weil er eine maechtige Familie (Sippe/Clan) hinter sich wuesste. Die Sprecherin fragte ihrerseits auch, ob er keine Sanktionen fuerchte, wenn er in dieser Weise ueber Hamas spraeche, die doch ein totalitaeres Regime im Gazastreifen fuehrte. Mohammed antwortete ihr direkt: Er wohne nur 2 km von der Grenze zu Israel. Sobald die IDF einmarschieren wuerde, befaende er sich hinter der Front und in Sicherheit.

Das israelische Fernsehen zeigte auch einen Bericht von Al-Jazeera ueber den Alltag im Gazastreifen. Die Strassen sind voellig ausgestorben, die Menschen gehen am liebsten fruehmorgens aus dem Haus, um das Noetigste zu besorgen und halten sich sonst lieber in ihren vier Waenden auf. Die letzten Tage fuehlte sich Beer Sheva genauso an. Wir befanden uns alle unter einer Art Hausarrest.

Lesen im Kaffeesatz III (die grossen Zusammenhaenge)


Wie ich schon mehrfach betont habe: Es waere falsch, die Vorgaenge im und um den Gazastreifen als lokale Phaenomene zu begreifen. Hamas gehoert de facto zur Achse Iran-Syrien-Hisbollah.

Iran investiert Geld, Waffen, Training in Hamas. Spontane, emotianale Ausloeser fuer Hamasaktionen wuerden bedeuten, dass der Iran nichts fuer seine Investitionen bekommt. Das mag ein- oder zweimal passieren, dann zieht sich jeder Investor entweder zurueck oder – wenn er die Druckmittel hat – setzt durch, dass seine Interessen den Investitionen entsprechende Prioritaet bekommen. Eine Sichtweise wie von Viktor Kocher, wonach Hamas Selbstkritik betreiben muesste, weil der Anschlag auf Nahal Oz israelische „Kollektivstrafen“ ausloese, entpuppt sich vor diesem Hintergrung als oberflaechlich. Eine konzertierte und sorgfaeltig getimte Aktion wie diese ist nicht emotional und einfach so aus dem Aermel geschuettelt worden. Das Ergebnis – israelische Sanktionen – ist leicht vorhersehbar und war offensichtlich beabsichtigt. Ich stehe wirklich nicht allein mit meiner Vermutung, dass dies wieder das Vorspiel fuer ein Durchbrechen der aegyptischen Grenze sein soll. Und ein solcher Plan muesste notwendig in Teheran abgesegnet worden sein.

Welche Gruende koennte es dafuer geben?
1) Der Innendruck im Gazastreifen wird zu gross und es soll ein Ventil gefunden werden.
2) Es steht eine Lieferung von Raketen mit groesser Reichweite an, die nicht so leicht geschmuggelt werden kann.
3) Fuer einen Terroranschlag im Sinai soll der Fluchtweg frei gemacht werden.
4) Aegypten soll destabilisiert werden (Mubarak ist alt und sterblich), um der Muslimsbruderschaft bei der Nachfolgeregelung groesseres Gewicht zuzuschanzen.
5) Das ist ein Ablenkungsmanoever, damit die Welt auf Israel schaut und nicht auf den Iran, der sein Atomwaffenprogramm energisch durchzieht.
6) Iranische, innenpolitische Gruende – da kenne ich mich zu wenig aus, habe aber mehr als einmal gelesen, dass Ahmadinejad und seine Politik in der herrschenden Elite nicht unumstritten sind.
7) Eine Kombination aus den obigen Motiven und weiteren, auf die ich nicht komme.

Der grosse Zusammenhang koennte das hier sein: Iran zieht die Fäden gegen Israel

Großbritanniens Geheimdienst MI6 hat festgestellt, daß Irans Revolutionsgarden Hunderte von Hamas-Kämpfern ausbilden, um sich diesen Sommer auf einen totalen Krieg gegen Israel vorzubereiten.

Die Elitebrigade der Gaza-Organisation Izzedine al-Quassam soll die südliche Front eines Angriffs auf den jüdischen Staat bilden, während die Hisbollah ihren Angriff gleichzeitig von Libanon aus durchführt. MI6-Analysten glauben, daß der Angriff gegen Ende der Bushregierung und der monatelangen demokratischen Kampagne stattfinden wird.

(Hattip Urs Schmidlin)

Die entsprechende Rhetorik hoeren wir schon seit einer Weile aus dem Iran und von Nasrallah.
Der UN Sicherheitsrat verlangt mit neuer Dringlichkeit, was eigentlich schon nach dem Abzug Israels aus dem Gazastreifen haette geschehen sollen, was dann expressis verbis in UN Resolution 1701 vom Sommer 2006 gefordert wurde: die Entwaffnung der Hisbollah und libanesische Souveraenitaet auch im Sueden des Landes. Das werden aber fromme Wuensche bleiben, solange der Elefant im Zimmer ignoriert wird: Libanon ist zu schwach, als dass es sich im Alleingang mit der Hisbollah und deren Schutzmaechten Iran und Syrien anlegen koennte. Schon Res. 1701 wurde vorsorglich nicht unter Chapter 7 verabschiedet, damit UNIFIL nicht etwa in Verlegenheit kommen koennte, selber etwas tun zu muessen. Ich kann es vor diesem Hintergrund niemandem uebel nehmen, wenn man sich zu arrangieren sucht.

Israel ist sich der Gefahr durchaus bewusst, versucht Spannungen abzubauen,
aber rechnet auch mit der Moeglichkeit, dass es nicht in Israels Macht liegt, einen Krieg zu vermeiden.

crossposted bei Freunden der Offenen Gesellschaft

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