Die Minuten vor der Sirene


am Gefallenengedenktag und am Holocaustgedenktag sind immer besonders spannungsreich. Dieses Jahr noch mehr als sonst. Dieses Jahr ist kritisch: Wird Israel einen Schlag gegen den Iran fuehren und wird der erfolgreich sein? In den Reden von Praesident Peres und Ministerpraesident Netanyahu gestern wurde deutlich angekuendigt, dass die Zeit des Opferbringens nicht vorbei ist, sondern dass uns Schweres bevorsteht. Ich habe Angst, aber der Alltag muss weitergehen. Diese Phase kann sich noch monatelang hinziehen. Die Gasmasken koennen wir ja schon mal anfordern.

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Erster Arbeitstag und ethnologische Studien


Heute war mein erster Arbeitstag. Mein Eindruck ist nach wie vor positiv.

Die Firma gehoert einem Kibbutz und ein nicht unerheblicher Teil der Mitarbeiter sind entweder Kibbutzmitglieder oder stammen aus dem Kibbutz. Auch dieser Kibbutz ist schon seit einer Weile privatisiert. Aber die Kibbutzmentalitaet wird noch lange weiterwirken. Ich vermute, dass die Fairness und Offenheit, die mir schon beim ersten Gespraech gefallen haben, auf die Kibbutzmentalitaet zurueckzufuehren sind, auch eine gewisse Askese (die Kaffeekueche ist spartanisch, da werde ich peu a peu Verbesserungen einfuehren) duerfte dazugehoeren.

Viele Kibbutzmitglieder scheinen einen europaeischen Hintergrund zu haben, von zwei Familien weiss ich schon, die aus Deutschland stammen, in die USA entkamen und von dort nach Israel eingewandert sind. Auch eine Schweizerin, die als Volontaerin im Kibbutz ihren Mann kennenlernte und dageblieben ist, habe ich kennengelernt. In den Bueros ist das Durchschnittsalter ziemlich hoch, ich duerfte noch zu den Juengsten gehoeren. In der Fabrik und bei den Ingenieruen sieht etwas anders aus.

Bei politischen Gespraechen muss ich aber vorsichtig sein (und natuerlich ging es im Kibbutzspeisesaal schon um Politik), vermutlich sind die meisten Mitarbeiter politisch links verortet.

Erleichterung bricht aus


Mein Vertrag ist unter Dach und Fach und passabel ausgefallen. Am Sonntag beginne ich meine neue Stelle. Mein neuer Chef macht einen sehr sympathischen Eindruck auf mich.

Die Familienlogistik ist einigermassen geregelt. Die Maedchen sind halbwegs darauf vorbereitet, nun keine staendig verfuegbare Mutter zu haben. Dafuer werden sie etwas mehr Vater abkriegen als auch schon.

Ich habe manche Nacht schlecht geschlafen und mich gefragt, ob ich wohl einem beruflichen Abstieg zustimmen muss. Dadurch, dass ich die Kinder spaet bekommen habe, konnte ich die Jahre, in denen andere aufsteigen, nicht nutzen, bzw. ich habe mich bewusst dafuer entschieden, der Kindererziehung Vorrang einzuraeumen. Das haette sich jetzt raechen koennen. Ich habe Glueck gehabt.

Weihnachtsgruesse


Zunaechst einmal allen meinen Lesern, die Weihnachten feiern: Frohe Feiertage!

Per e-mail erhielt auch ich einen Weihnachtsgruss:

Als ich auf die „Unterschrift“ klickte, gelangte ich zu einem Foto von einem Panzertransport in Grenznaehe des Gazastreifens (Zikim) und diesem Text:

israel vertraut nicht mehr auf gott, sondern auf die vereinigten staaten. natürlich kann man einen bund mit der stärksten macht eingehen, die U-boote mit atomwaffen und die armee mit der modernsten technik ausrüsten. all das gibt das gefühl der sicherheit und überlegenheit gegenüber allen anderen. das problem ist ist nur, dass israel an diesen gefühlen bereits seit ein paar tausend jahren leidet, und ihre verstärkung ihm nichts gutes bringen wird. vor gott kann man sich nicht schützen.

die sowjetunion festigte ebenfalls seine atheistische zuversicht mittels ungeheurer mengen an panzern und kampffliegern und bereitete sich jeden tag auf den krieg vor. wir wissen, wie der krieg begann, und wir wissen auch, welche opfer das sowjetische volk auf dem altar dieser gefühle bringen musste. wenn das land keine feinstoffliche energie und keine zukunft besitzt, wird keine miiliätische ausrüstung mehr helfen.

wir können unser schicksal nicht lenken. wenn wir uns aber ändern, kann unser schicksal von oben geändert werden. äusserlich ist die steuerung durchaus zulässig, aber auf der tiefsten ebene ist unser schicksal mit dem schicksal des universums verflochten und wir haben kein recht darauf, es zu beeinflussen. wir müssen lernen, das wichtigste von dem nebensächlichen zu unterscheiden.

S.N. Lazarev | Der Mensch der Zukunft

Der Text ist Bloedsinn. Einerseits argumentiert der Autor, dass das Buendnis mit einer militaerischen Supermacht das Gefuehl von Sicherheit und Ueberlegenheit verschaffe, anderseits behauptet er, das juedische Volk „leide schon seit Jahrtausenden“ an einem Gefuehl der Sicherheit (!) und Ueberlegenheit. Dass Juden sich angeblich fuer etwas Besseres hielten, ist ein alter antisemitischer Topos, der die Erwaehlung durch Gott als rassistischen Ueberlegenheitsanspruch deutet – ein Fallbeispiel fuer Projektion. Dass Juden aber seit Jahrtausenden an einem uebertriebenem Gefuehl der Sicherheit litten, ist neu. Sonst wird uns eher juedische Paranoia vorgeworfen.

Wenn diese beiden Gefuehle aber so stark und schon so lang im Judentum verankert sein sollen, muesste das juedische Volk im ungefaehr selben Zeitraum Buendnisse mit militaerischen Weltmaechten genossen haben. Komisch, ich erinnere mich aus Geschichte und Thora nicht an diese einzigartigen Alliancen – mit dem antiken Aegypten, dem babylonischen, dann persischen Grossreich, natuerlich dem Alexandereich, dem Roemischen Reich, dam Ostroemischen Reich, dem Kalifat in seinen verschiedenen Auspraegungen, dem British Empire?!

Lazarev ist offensichtlich ein New-Age Mystiker und selbst ernannter Hellseher und Wunderheiler. Wieder einmal wird belegt, dass Wissen und rationales Denken dem Karma offensichtlich nur hinderlich ist.

Meine Prognose fuer 2010


Ich werde wieder arbeiten. Beschreien moechte ich es nicht, aber uebermorgen treffe ich den CEO der Firma fuer das letzte Gespraech und die letzten Verhandlungen. Viel kann nicht mehr schiefgehen. Von den verschiedenen Firmen, bei denen ich mich beworben habe, hat mir diese am meisten gefallen.

Israel wird einen Schlag gegen das iranische Atomprogramm fuehren, stillschweigend unterstuetzt von den USA.

Dass Netanyahu ohne Gegenleistung einem Siedlungsstopp zugestimmt haben soll, halte ich fuer extrem unwahrscheinlich. Als der Siedlungsstopp von der Knesseth ratifiziert wurde und Benny Begin zustimmte, waren mein Mann und ich uns einig: Die Gegenleistung bezieht sich auf den Iran. Das erklaert auch die Geheimniskraemerei um das besagte Gespraech.

Iran wird nicht direkt zurueckschlagen, weil das Regime weiss, dass Israels Militaeraktion nur dann begrenzt bleibt, wenn kein direkter Schlag erfolgt. Stattdessen wird es versuchen, Syrien, Hisbollah und Hamas auf Israel zu hetzen. Ob und inwieweit Hamas im Gazastreifen zu einem ernsthaften Angriff bereit und faehig ist, wuerde ich mit einem Fragezeichen versehen. Die Erinnerung an die Aktion „Gegossenes Blei“ ist noch einigermassen frisch. Auch Syrien wird den gegenseitigen Verteidigungspakt sicher nicht so eng sehen, wenn Iran selber nicht in den Krieg zieht. Hisbollah auf der anderen Seite hat seit 2006 unter UN Aufsicht fleissig geruestet und fuehlt sich Israel gewachsen. Der Staat, der dadurch besonders bedroht ist, heisst Libanon. Da Hisbollah inzwischen ein Vetorecht in der Regierung besitzt und offiziell ermaechtigt ist, eine eigene Armee zu unterhalten, ist die Trennung zwischen Libanon und Hisbollah obsolet geworden.

Hilferuf: Wie verabreiche ich unserem Kater seine Entwurmungstablette?


Die Grosse lernt in ihrem Begabtenunterricht dieses Jahr auch Tierheilkunde. Vor vierzehn Tagen brachte sie einen Text nach Hause: Wie verabreicht man einem Hund Medizin? Man steckt sie in ein Stueck Wurst. Wie verabreicht man einer Katze Medizin: Und dann folgt eine seitenlange Beschreibung, die in der Notaufnahme endet, ohne dass die Katze eine Tablette geschluckt haette.

Unweigerlich fragte die Grosse mich, wann wir unser Katerchen eigentlich das letzte Mal entwurmt haetten? Oehm, aeh, eigentlich nie. Ich hatte einmal einen Versuch gemacht und als er das Futter mit der pulverisierten Tablette nicht frass, habe ich gleich aufgegeben. Jetzt ist das nicht moeglich, schaut mir doch eine angehende Tieraerztin ueber die Schulter.

Natuerlich hat er auch diesmal das Futter mit Medizin drin nicht angeruehrt. Lieber hielt er einen dreitaegigen Hungerstreik. Die erste Tablette landete schon im Muell. In den Gebrauchsanweisungen sieht es so leicht aus, einer Katze das Maul zu oeffnen. Pustekuchen. Er setzt sich nie auf meinen Schoss, wenn die Tablette in der Naehe ist. Mit Gewalt laesst er sich auch nicht greifen. Meine rechte Hand hat schon deutliche Kratzspuren.

Wer kann helfen?

Neulich im Schwimmbad


Seit ein paar Monaten schwimme ich fast taeglich wenigstens eine halbe Stunde. Ich habe keine bestimmte Zeit, sondern schiebe das Schwimmprogramm in den Tagesablauf, wo es jeweils passt.

Neulich war ich frueh am Morgen im Pool, der ungewoehnlich voll war. Die Schwimmer sortieren sich in die verschiedenen Bahnen je nach Tempo. Ich schwimme entweder in der schnellsten oder zweitschnellsten Bahn. Dieses Mal hatte ich mich bei den Schnellsten einsortiert. Dann kam ein superschneller Schwimmer, der uns alle staendig ueberholte. Nach einer Weile hielt er mich am Beckenrand an und fragte hoeflich, warum ich in dieser Bahn schwimme. Ich sagte ihm, dass ich im gleichen Rythmus wie die anderen schwimme, nur er sei deutlich schneller und muesse halt ueberholen. Und warum er eigentlich nur mich zur Rede stelle? Ich war keineswegs die Langsamste der Gruppe. Der junge Mann antwortete, dass er nicht verhindern koenne, beim Ueberholen Hiebe und Tritte auszuteilen und von allen Schwimmern waere es ihm mir gegenueber am unangenehmsten. Ich lachte und sagte, das sei ein Vorurteil. Ich sei genauso hart im Einstecke wie alle anderen, uebrigens auch im Austeilen. Naja, meinte er, er habe schon ein bloedes Gefuehl gegenueber jemandem, die seine Mutter sein koennte. An dieser Stelle war ich beleidigt und wollte ihn anschnauben, ob ich wirklich so aussehe, als koenne ich seine Mutter sein. (Und in Gedanken beschloss ich schon, in einen schnittigeren Badeanzug zu investieren, mein Teil hatte ich gekauft, weil es so billig war!) Aber ich unterbrach mich und fragte ihn erstmal nach seinem Alter. 20, war die Antwort. Ich musste lachen und zugeben, dass ich wirklich seine Mutter sein koennte. Weil meine eigenen Kinder so viel juenger sind, verdraenge ich staendig, dass die meisten Frauen meines Alters bereits erwachsene Kinder haben.

Um in Wuerde zu altern, muss man sich erst einmal bewusst werden, dass man altert!

Alltagsfreuden


Fuer mein Teil bin ich davon ueberzeugt, dass Israel in absehbarer Zukunft einen Schlag gegen den Iran fuehren wird. Die iranische Reaktion wird moeglicherweise die ganze Welt betreffen.

Das hindert mich aber nicht daran, in der Zwischenzeit den Alltag zu geniessen. Am letzten Shabbat sind wir mit den Fahrraedern losgezogen, unser Viertel zu erkunden. Wir entdeckten einen huebschen mit Baenken und zu meiner Freude Tischtennistischen.

Heute morgen, nachdem ich mein taegliches Schwimmprogramm und den Besuch beim Arbeitsamt hinter mir hatte, kam ich an einem Spielwarengeschaeft vorbei und kaufte zwei Tischtennisschlaeger samt Baellen. Leider konnte ich die Maedchen nicht dazu ueberreden, gleich nach dem Mittagessen loszuziehen.

Die Kleine war zu beschaeftigt, Materialien fuer ihre Wahlkampagne vorzubereiten. Sie wurde mit grosser Mehrheit zur Klassensprecherin gewaehlt, so dass sie ins Schuelerparlament einzog. Jetzt moechte sie sich dort zur Vorsitzenden waehlen lassen. Ihre Farbe ist lila. Sie hat ein tolles Schild auf lila Karton gemalt „Lila an die Macht!“, bastelt Ketten und Armbaender aus lila Krepp, die sie an ihre Anhaenger verteilt. Lila Ballons und jede Menge lustiger Aufkleber gehoeren ebenfalls zum Werbematerial. Bermerkenswerterweise hat sie mich nicht um einen Zuschuss zu den Wahlkampfkosten gebeten, sondern haelt sich an ihr Taschengeld.

Als mein Mann nach Hause kam, war er ziemlich ausgehungert (die Kantine seiner Firma ist eher mies). Ich bot mich an, ihm etwas Warmes zu richten. Da sah er die Tischtennisschlaeger. Als er anfang, am Kuechentisch damit zu spielen, kam die Grosse herbei. Ich half den beiden noch, unseren Esstisch freizuraeumen, waehrend mir fast die Zwiebeln anbrannten. Dann stellte ich mich wieder an den Herd und freute mich ueber das Klickklack des Baellchens hinter mir.

Ich habe meine Apfelbaeumchen gepflanzt. Jetzt kann ich nur beten, dass ich erleben darf, wie sie wachsen, bluehen und gedeihen.

Feigenkuchen


In Israel gibt es immer eine breite Auswahl an Obst und Gemuese. Besonders reich sind die Uebergangszeiten im Fruehling und im Herbst.

An diesem Wochenende hatten wir gleichzeitig: Zuckermelone, Mango, Granatapfel, Trauben, Mandarinen, Orangen, Aepfel, Plaumen, Pfirsiche, Banaen, Kiwis, Zwetschgen und frische Feigen.

Zu seinem Geburtstage wuenschte sich mein Mann einen Kuchen mit frischen Feigen. Meine Kochbuecher kennen kein solches Rezept, also suchte ich im Internet und wurde fuendig. Ich habe die Zuckermenge auf 100 gr. reduziert, Puderzucker verwendet, ein Paeckchen Vanillezucker hinzugefuegt und nur ein Eigelb zum Bepinseln verwendet. (Das andere wanderte in ein Brownierezept, womit ich seine Mitarbeiter im Buero beglueckte.) Ich habe den Kuchen auch nicht warm serviert, sondern im Gegenteil kalt – eine Nacht im Kuehlschrank. Es war sehr lecker!

Dajan Emet


„Gelobt sei der wahrhaftige Richter.“ Das ist der Segensspruch, den Juden beim Erhalt einer Todesnachricht sagen sollen und leider hatte ich heute frueh schon Gelegenheit dazu.

Dieselbe Tagesmutter betreute die Grosse und die Kleine. Unsere Familien sind seither freundschaftlich miteinander verbunden. Als ich am Wochenende nicht da war, lud ihre Familie meinen Mann und die Kinder zum Shabbatmittagessen ein. Ihre erwachsenen Kinder waren ebenfalls dabei und es muss sehr froehlich gewesen sein. Der Familienvater juxte mit seinem Sohn und mit unserer Grossen. Der Sohn lud alle ein, ihn am Mittwoch auf dem Pferdehof zu besuchen, wo er arbeitet. Gestern telefonierte ich deswegen zweimal mit der Familienmutter, um zu klaeren, ob das noch aktuell ist und abzusprechen, was ich an Essbaren mitbringen kann. Wir wollten heute morgen noch einmal telefonieren, um die Fahrt zu koordinieren.

Als ich knapp vor sieben aufstand, hatte ich gerade beschlossen, noch einen Kuchen fuer den Ausflug zu backen. So stand ich in der Kueche mit dem Kochbuch vor mir, als das Telefon klingelte. Die Tagesmutter war dran, ihre Stimme klang ganz heiser, als haette sie ueber Nacht eine schwere Erkaeltung bekommen. Ich fragte, was passiert sei. Sie antwortete nur mit dem Namen ihres Mannes. Erst wollte ich es nicht wahrhaben, aber schliesslich sagte sie es so deutlich, dass ich nichts missverstehen konnte: Ihr Mann hatte gestern abend einen Herzinfarkt und war sofort tot. Sie waren bei der verheirateten Tochter und ihrer Familie zu Besuch gewesen, als es geschah. Der Mann war Mitte Sechzig, bei voller Gesundheit, auf die er immer sehr geachtet hat, in seiner Ernaehrung und mit regelmaessigem Sport. Vor wenigen Monaten erst waren er und seine Frau in eine neue Wohnung umgezogen, wo sie den Lebensabend gemeinsam geniessen wollten, wenn er erst in Rente ginge.

Ich kenne wenig Menschen, die so rundherum guetig sind. Er wird uns allen fehlen, am meisten natuerlich seiner Frau und seinen Kindern.

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