Wieder Raketen


Wie Lila schon gestern berichtete, hat sich die Zuspitzung der Lage im Sueden Israels schon lange angekuendigt. Auch wenn europaeische Medien nun ueberwiegend berichten, als waere Israel fuer die Esklation verantwortlich. Das Auto des liquidierten Zahir Kaisi hat es auf eine Weise zerrissen, die nahelegt (Lilas Mann, 6. Absatz), dass darin gerade ein Sprengsatz transportiert wurde. Damit gibt es ein von Israel unabhaengiges Indiz, dass der Anfuehrer des Volkswiderstandkomitees und sein Schwager tatsaechlich gerade ein groesseres Attentat vorbereiteten.

Seither werden ununterbrochen Raketen auf uns abgefeuert. In der Nacht vom Freitag auf Samstag ertoente die Sirene alle zwei Stunden. Am naechsten Morgen fuhren wir zum Purimsumzug nach Sde Boker, das (noch?) ausserhalb der Raketenreichweite liegt. Aber die Maedchen und mein Mann waren so uebermuedet, dass sie kaum Freude daran hatten. Mir hatten die naechtlichen Stoerungen weniger ausgemacht, vielleicht weil ich noch aus der Babyzeit der Kinder an unterbrochenen Schlaf gewoehnt bin.

Gestern nachmittag gingen mein Mann und ich trotzdem ins Schwimmbad. Ich hatte mir immer Sorgen gemacht, ob ich die Sirene im Wasser hoeren wuerde. Gestern konnte ich feststellen, dass man sie problemlos hoert. Alles sprang aus dem Becken und in den fensterlosen Flut, wo man sich halbwegs in Sicherheit fuehlte.

In Beer Sheva ist es heute ruhig, dafuer hatten wir geraden den vierten Alarm in der Firma. Ich renne doch, wie alle anderen, in den Sicherheitsraum. Beim zweiten Alarm habe ich mir dabei einen Absatz abgerissen, den ich aber wieder notduerftig anbringen konnte.  Meistens sind wir drin, bevor wir den ersten Einschlag hoeren.

Die Maedchen haben raketenfrei und stehen unter Hausarrest. Mein Mann wird den Nachmittag frei nehmen, damit sie nicht zu lange allein sein muessen. Gestern nacht habe ich der Kleinen auch ein Bett im Bunkerzimmer gerichtet. Die Maedchen beschlossen, das Beste daraus zu machen. Sie dekorierten das Zimmer mit Girlanden und blinkenden Lichtern, bereiteten sich einen Imbiss aus Obst und Knabbersachen und eine Kanne frischer Limonade. Dann schlossen sie die Stahltuer, drehten die Musik auf und tanzten auf ihren Betten Disco. „Wir lassen uns von Hamas doch nicht den Abend vermiesen!“ Waschechte Israelinnen wachsen uns heran.

Update: Heute nachmittag hat eine Rakete ein leeres Schulgebaeude in Beer Sheva getroffen. Zum Glueck haben die Schueler raketenfrei! Eine andere Rakete soll ein Auto getroffen haben.

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Alltag unter Raketendrohung


Die Kinder in Beer Sheva haben seit Sonntag „raketenfrei“. Gerade erst gingen die zwei-Wochen-langen Ferien zum Laubhuettenfest zu Ende und die Maedchen wuerden gern wieder zur Schule gehen und mehr Zeit mit ihren Freundinnen verbringen. Stattdessen haben sie nun schon den dritten Tag Hausarrest. Wenn Hamas, der Islamische Jihad und/oder sonstige Terrorgrueppchen das Leben im Sueden nachhaltig beeintraechtigen wollen, muessen sie nur taeglich gegen abends ein oder zwei Raketen abschiessen.

Gestern abend war ich mit der Kleinen in einem Laden fuer Handarbeitsartikel in der Altstadt. Wir wollten Wolle kaufen, weil Stricken bekanntlich beruhigt. Diesmal wird es ein roter Schal. Ich habe auch zugeschlagen und Material fuer eine Strickjacke fuer die Kleine gekauft.

Wir bewunderten gerade die Knopfauswahl, als die Sirene ertoente. Zum Glueck waren wir im Laden und nicht im Auto. Und zum Glueck ist dieser Laden wie die meisten in der Altstadt ein langer Schlauch in einem Betongebaeude. Alle Kundinnen und Verkaeuferinnen draengten sich ans hintere Ende. Ein Regal mit Wollknaeulen wuerde eventuelle Granatsplitter auch ganz gut absorbieren. Die Chefin schaute auf die Uhr und gab nach der angemessenen Zeit Entwarnung, aber die deutlich hoerbare Explosion erfolgte erst anschliessend. Ich sagte, es sei besser noch ein bisschen zu warten. Tatsaechlich hoerten wir bald darauf eine zweite Explosion.

Eigentlich sollte heute wieder Unterricht stattfinden, aber nach diesem Raketenangriff war allen klar, dass ein weiterer Tag schulfrei sein wuerde. Die Maedchen hatten sich schon beschwert, dass sie kaum noch wissen, wie sie die Zeit herumkriegen. Fernsehen und Computer sind auch nicht alles. Gestern haben sie schon das Puzzle mit 250 Teilen zur Haelte gemacht, heute wollen sie das mit den 500 Teilen anfangen. Wenn sich die Lage nicht entspannt, haben wir noch welche mit 1000 Teilen.

Spaeter ging ich trotzdem schwimmen, aber entspannend wirkte das nicht. Mein Kopf ist meistens unter Wasser, so dass ich schlecht hoere. Der Bademeister laesst Musik laufen, wo manche Ober- oder Untertoene an eine Sirene erinnern. Also versuche ich mich optisch zu orientieren. Solange die anderen Frauen im Becken ruhig sind, ist es kein Alarm. Aber haeufig sind das Grueppchen von Studentinnen, die viel miteinander zu reden und kichern haben, daher muss ich genau hinschauen, um welche Art von Aufgeregtheit es sich handelt. Gestern war eine Gruppe arabischer Studentinnen dabei, wie ich nachher im Umkleideraum bemerkte, als sie ihre Schleier befestigten. Ich kam gerade aus der Dusche, als ein Wagen mit Blaulicht und Tatuetata vorbeifuhr. Einen Sekundenbruchteil erstarrten wir alle, bis wir sicher waren, dass es kein Raketenalarm war. Die arabischen Studentinnen tauschten leise ein paar ernste Saetze aus. Leider verstehe ich kein Arabisch, aber ich vermute, es hiess so etwas wie „Scheissraketen, hoffentlich kommt kein Alarm, wenn wir nach Hause fahren.“

Obwohl sie eigentlich ausschlafen koennte, steht die Kleine jeden Morgen mit mir auf. Sie geniesst die Zeit, die wir miteinander haben, waehrend mein Mann und die Grosse noch schlafen. Ausserdem muss sie kontrollieren, was ich anziehe, einerseits unter modischen Gesichtspunkten, aber in den letzten Tagen auch Sicherheit: Keine Schuhe mit Absaetzen, „damit du zum Schutzraum rennen kannst.“ Ich sage ihr nicht, dass ich schon beschlossen habe, den Schutzraum gar nicht aufzusuchen, falls ein Alarm kommt. Er ist zu klein und zu weit weg. Eine Kollegin, die das Feuer in Ashdod (sieben Autos brannten aus) nach dem Raketenhagel am Samstagabend erlebt hat, befuerchtet, dass der Schutzraum zur Feuerfalle werden koennte, wenn eine Rakete die Fabrik treffen sollte. Ich weiss nicht, wie gut der Brandschutz ausgelegt ist und ob er einer solchen Zuendung gewachsen waere.

bisher dritter Raketenalarm heute


Der erste, kurz nach 7 Uhr morgens war Fehlalarm, ueber die beiden anderen habe ich noch nichts in den Nachrichten gehoert.

Eigentlich wollte ich heute mit den Kindern ein bisschen rausgehen. Gestern haben wir extra noch einen Ball gekauft. Aber ich glaube, das lassen wir lieber. Auch die Suche nach einem neuen Teppich fuer’s Kinderzimmer verschiebe ich auf ruhigere Tage. Also wieder einmal Hausarrest komplett.

Statt mit dem Streichen weitere Raeume anzufangen (das Kinderzimmer wird heute fertig), koennen wir ja kochen und backen. Anfang Dezember habe ich beiden Maedchen das Stricken beigebracht, bisher nur rechte Maschen. Sie bekamen beide ein buntes Knaeuel mit dicker, synthetischen Wolle und die Aufgabe, als erstes einen Schal zu stricken. Jetzt lismen (schweizerdeutsch fuer stricken) sie fleissig, gern vor dem Fernseher bei den 5-Uhr-Nachrichten. Stricken wirke beruhigend, meinen sie. Mein Mann findet, das ihm schon der Anblick der beiden strickenden Maedchen gut tut.

der dritte Raketenalarm heute


Wenigstens waren die letzten beide auch hoerbar. Die Kinder singen ein Spottlied auf Nasrallah, das sie im Sommer 2006 gelernt haben. Mal schauen, wie lange es dauert, bis sie Spottlieder auf Haniye und Hamas kennen.

Die Wand im Schlafzimmer habe ich fertig. Der zweite Anstrich im Klo steht noch aus. Damit habe ich reale Chance, den Balagan in den Griff zu bekommen, bevor mein Mann nach Hause kommt.

Und der vierte gleich hinterher!

So wird das nichts mit dem Schrank einraeumen…

Bericht vom Raketendrill in der Schule


In der Kantine fingen die Telefone an zu klingeln und diverse Kinder erzaehlten ihren Eltern von der Uebung, die sie heute in der Schule gehabt hatten.

Jetzt war ich dran. Die Kleine erzaehlte uebermuetig, dass sie fast nichts gelernt haetten, weil die meiste Zeit fuer den Sicherheitsdrill drauf ging. Es stellte sich heraus, dass die veranschlagten 45 Sekunden nie im Leben ausreichen, um die Klassen in den Schutzraum zu bringen. Den Kindern wurde auch verboten zu rennen, damit nicht in einer Panik ueber ein gefallenes Kind getrampelt wird. So wurde denn beschlossen, dass die Kinder bei Raketenalarm nur ihre Klassenzimmer verlassen und sich im Gang an die innere Wand draengen sollten.

Kaum war der Drill vorbei, hoerte man einen Alarm. Kinder und Lehrer glaubten im ersten Moment, jetzt sei es ernst, dabei hatte nur die benachbarte Schule vergessen darauf hinzuweisen, dass sie auch eine Uebung durchfuehrt.

Spaeter wurden dann alle Schueler in die Turnhalle gefuehrt, wo die ganze Schule zusammen fuer die Soldaten im und um den Gazastreifen beteten. Die Kleine betete besonders intensiv neben ihrer weinenden Freundin. Deren grosser Bruder gehoert zu den Soldaten, die nun jeden Moment mit der Bodenoffensive in den Gazastreifen eindringen muessen.

Der Sohn einer Mitarbeiterin gehoert auch dazu. Diese Frau, immer sehr schick und gepflegt (sie hat mich zur Kosmetikerin geschickt), sieht seit Wochenanfang wie ein Gespenst ihrer selbst aus. Sie kann vor Sorgen nicht schlafen und wird wohl noch einige Zeit nicht schlafen koennen!

Notizen aus dem fast normalen Alltag


Der Probealarm wurde doch nicht durchexerziert.

Als wir zum Gesundheitszentrum fuhren, sah ich schon im Lift des Parkhauses eine Meldung des Heimatschutzes: „Lift im Fall von Raketenalarm nicht benutzen“. In Beer Sheva sollen wir 30-40 Sekunden vom Alarm bis zum Einschlag haben. Das reicht nicht aus, um einen sicheren Ort zu finden, wenn man sich zur Zeit des Alarms gerade im Lift befindet. Im Gebaeude selber waren ueberall grosse, rote Pfeile angebracht: „Zu einer geschuetzten Flaeche“. Diese Flaechen selber waren aber gar nicht klar gekennzeichnet. Es handelte sich offensichtlich immer um Stellen, wo die Konstruktion aus statischen Gruenden mit Beton verstaerkt war. Im Stress haette ich diese Beobachtung wohl nicht gemacht, sondern waere wild von einem roten Pfeil zum naechsten gehastet, ohne je in einer der verstaerkten Nischen stehen zu bleiben. Ich erwaehnte den Punkt gegenueber einer Rezeptionistin.

Waehrend sie die Kleine untersuchte, sagte mir die Zahnaerztin, sie habe erst beim Heimatschutz angerufen, ob ueberhaupt normale Sprechstunde sei. Ich schaute auf meine Tochter, die inzwischen eine Atemmaske mit Lachgas ueber der Nase hatte und machte mir klar, dass 30 Sekunden kaum reichen wuerden, sie von den diversen Schlaeuchen zu befreien.

Am Abend rief meine Schwiegermutter an und fragte, ob die Kinder morgen Unterricht haetten. Sie haben. Die Chanukkaferien werden nur in den Gemeinden innerhalb von 30 km verlaengert, Beer Sheva liegt aber 40 km entfernt. Wenn irgendetwas sei, solle ich die Kindern packen und zu ihnen kommen. Guck mal, wer da spricht. Den Krieg gegen Hisbollah im Sommer 2006 hat sie lieber in den eigenen vier Waenden ueberdauert, als zu uns zu kommen…

Mein Chef meinte heute vormittag etwas aehnliches. Ich erzaehlte ihm von meinen Plaenen, die tote Zeit zu nuetzen, indem ich meine Kunden in Israel besuche, muesse aber abwarten, bis die Kinder halbwegs gesund seien. Da ermahnte er mich, nicht nur das Fieber, sondern auch den Krieg zu beruecksichtigen.

Die Kinder waren heute nachmittag fieberfrei. Wenn sie es morgen frueh auch sind, schicke ich sie in die Schule. Die neue Direktorin hat die Schutzraeume hergerichtet und schon zweimal geuebt, welche Klassen in welcher Reihenfolge wohin gefuehrt werden.

Gerade ein E-mail von der Direktorin erhalten. Sie bittet alle Elternsprecher (natuerlich habe ich mich auch fuer dieses Amt breitschlagen lassen) morgen zu einer Dringlichkeitssitzung in die Schule zu kommen.

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