Dajan Emet


„Gelobt sei der wahrhaftige Richter.“ Das ist der Segensspruch, den Juden beim Erhalt einer Todesnachricht sagen sollen und leider hatte ich heute frueh schon Gelegenheit dazu.

Dieselbe Tagesmutter betreute die Grosse und die Kleine. Unsere Familien sind seither freundschaftlich miteinander verbunden. Als ich am Wochenende nicht da war, lud ihre Familie meinen Mann und die Kinder zum Shabbatmittagessen ein. Ihre erwachsenen Kinder waren ebenfalls dabei und es muss sehr froehlich gewesen sein. Der Familienvater juxte mit seinem Sohn und mit unserer Grossen. Der Sohn lud alle ein, ihn am Mittwoch auf dem Pferdehof zu besuchen, wo er arbeitet. Gestern telefonierte ich deswegen zweimal mit der Familienmutter, um zu klaeren, ob das noch aktuell ist und abzusprechen, was ich an Essbaren mitbringen kann. Wir wollten heute morgen noch einmal telefonieren, um die Fahrt zu koordinieren.

Als ich knapp vor sieben aufstand, hatte ich gerade beschlossen, noch einen Kuchen fuer den Ausflug zu backen. So stand ich in der Kueche mit dem Kochbuch vor mir, als das Telefon klingelte. Die Tagesmutter war dran, ihre Stimme klang ganz heiser, als haette sie ueber Nacht eine schwere Erkaeltung bekommen. Ich fragte, was passiert sei. Sie antwortete nur mit dem Namen ihres Mannes. Erst wollte ich es nicht wahrhaben, aber schliesslich sagte sie es so deutlich, dass ich nichts missverstehen konnte: Ihr Mann hatte gestern abend einen Herzinfarkt und war sofort tot. Sie waren bei der verheirateten Tochter und ihrer Familie zu Besuch gewesen, als es geschah. Der Mann war Mitte Sechzig, bei voller Gesundheit, auf die er immer sehr geachtet hat, in seiner Ernaehrung und mit regelmaessigem Sport. Vor wenigen Monaten erst waren er und seine Frau in eine neue Wohnung umgezogen, wo sie den Lebensabend gemeinsam geniessen wollten, wenn er erst in Rente ginge.

Ich kenne wenig Menschen, die so rundherum guetig sind. Er wird uns allen fehlen, am meisten natuerlich seiner Frau und seinen Kindern.

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Nachtgedanken


Der heutige Tag war vor allem meiner Freundin gewidmet. Ihre Prognose ist nicht gut. Auf der Plusseite kann vermerkt werden, dass sie keine Schmerzen hat, sondern nur sehr schwach ist. Sie hat sich entschlossen in die Schweiz zurueckzukehren. Da sie nicht mehr allein reisen kann, werde ich sie begleiten. Heute war ich bei ihr. Sie hat mich mit ihrer Schwester und ihrem Bruder in Kontakt gebracht, mit denen zusammen ich den Flug plane und buche. Wir haben auch schon ihre Koffer gepackt. Ihre Tapferkeit beeindruckt mich. Sie weiss sehr genau, was sie will, was getan werden muss und packt es an.

Zuhause erzaehle ich den Kindern von der bevorstehenden Reise. Erst maulen sie ein bisschen, aber ich bleibe wirklich nicht lange weg. Dann sage ich ihnen, dass es gut sein kann, dass sie diese Freundin nie wiedersehen werden. Wenn sie Abschied nehmen wollen, muessen sie das waehrend der kommenden Woche tun.

Die Grosse konnte das nicht an sich herankommen lassen. Sie verschwand in ihrem Zimmer und in einem Buch. Die Kleine reagierte anders.

Hier muss ich eine Anekdote einschieben. Vor drei Jahren war unser Sommer in Europa furchtbar verregnet, so dass wir fast jeden Tag ins Museum gingen. Eines Tages waren wir im Naturhistorischen Museum in Basel, das ich schon als Kind geliebt habe. Inzwischen ist es natuerlich modernisiert worden, und die Ausstellungsraeume sehen ganz anders aus. In einem Saal geht man auf ein lebensgrosse Mammuth zu. Links davon an der Wand ist der Abguss eines ganz kleinen Mammuths, das sein junges Leben verlor, als es in ein Moor geriet. Die Umstaende des Funds werden auf einer Schautafel darueber beschrieben. Ich las mit Interesse und bemerkte erst nach einer Weile, dass die Kleine leise schluchzend neben dem Mammuthbaby kauerte. Waehrend unserem weitern Rundgang durch das Museum kehrte sie noch zweimal zu ihm zurueck und weinte um das Baby und die Mammutmutter, die ihr Kind verlor.

Heute Abend leitete sie das Gespraech so ein: Sicher sei ich sehr traurig. Dann hatte sie eine Reihe von Ideen, wo und wann sie fuer diese Frau beten koenne. Sie will ihr auch eine Gute-Besserung-Karte malen, um sie auf frohe Gedanken zu bringen. Ausserdem wuerde sie gern mit den Aerzten sprechen, das musste ich ihr ausreden.

Der Verlust eines geliebten Menschen


ist immer ein tiefer Einschnitt. Besonders hart ist er, wenn ein junger Mensch ploetzlich von uns gerissen wird. Seine Angehoerigen und Freunde konnten sich nicht auf den Verlust vorbereiten, wie es bei einer langen Krankheit oder bei hohem Alter geschieht. Am allerschlimmsten ist es wohl, wenn der Tod durch Gewalt verursacht wurde.

Jeder reagiert auf ein solch traumatische Geschehen auf andere Weise. Bei Nurit Peled-Elhanan haben wir eine besonders psychopathische Reaktion gesehen. Sie ist die Ausnahme. Waehrend wir viele Angehoerige von Terroropfern aus den Augen verlieren, so hoeren wir doch in manchen Faellen wieder von ihnen. Die Angehoerigen von Danny und Einat Haran, die von Samir Kuntar brutal ermordet wurden, gaben diesen Sommer zu Protokoll, dass sie einer Freilassung von Kuntar im Austausch fuer lebende Soldaten zustimmen. Wie wir wissen, fand der Austausch gegen Saerge statt. Auch Yitzchak Levy und Stephen Flatow, die beide eine Tochter durch Terror verloren haben, waeren mit einer Freilassung der Moerder einverstanden, wenn dadurch Geiseln gerettet werden koennen. Die angebliche „juedische Rachsucht“ wird nicht bestaetigt.

Die Familie Wachsman hat sich zur Erinnerung an ihren Sohn Nachshon dem Shalva-Zentrum in Jerusalem fuer geistig behinderte Kinder gewidmet. Die Eltern von Koby Mandel haben die nach ihm benannte Stiftung ins Leben gerufen, um den Angehoerigen von anderen Terroropfern zu helfen.

Auch die Familie Khoury will mit ihrem Leid in einer Weise umgehen, die anderen Menschen helfen kann. Ihr Sohn George wurde fuer einen Juden gehalten, als er in Jerusalem joggte und von Al-Aksa-Terroristen deswegen ermordet. Jetzt hilft die Familie, die Uebersetzung von Amos Oz „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ ins Arabische zu finanzieren.

Moege der Ewige sie und alle Trauernden in Zion und Jerusalem troesten.

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