Widersprechen Gezielte Toetungen dem Kriegsvoelkerrecht?


Dieser Text ist entstanden als Reaktion auf die einhellige europaeische Verurteilung der Gezielten Toetung von Scheich Yassin, dem Gruender und Oberhaupt der Hamas. Ich habe ihn bereits im HaGalil Online Forum, im Thread Kriegsrecht im Nahostkonflikt veroeffentlicht.

Im Grunde handelt es sich um zwei verschiedene Fragen.

Ist KVR auf den gegenwaertigen pal.-isr. Konflikt anwendbar?

2) Wenn KVR anwendbar ist, Wer gehoert zu den “protected persons”?

Zu 1)

Die Genfer Konventionen ueber den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten, abgeschlossen in Genf am 12. August 1949 haelt in Teil I, Allgemeine Bestimmungen, Artikel 2 fest:

Ausser den Bestimmungen, die bereits in Friedenszeiten zu handhaben sind, ist das vorliegende Abkommen in allen Fällen eines erklärten Krieges oder jedes anderen bewaffneten Konflikts anzuwenden, der zwischen zwei oder mehreren der Hohen Vertragsparteien entsteht, und zwar auch dann, wenn der Kriegszustand von einer dieser Parteien nicht anerkannt wird.
(…)

Auch das Fehlen einer formellen Kriegserklaerung und wenn die PA mitunter darauf besteht, sich nicht im Krieg zu befinden, kann demnach die Anwendbarkeit der Genfer Konvention nicht beeintraechtigen.

In Artikel 3 wird festgehalten, dass mindestens ein Teil der Bestimmungen der Genfer Konvention auch dann zur Anwendung kommen, wenn es sich nicht um einen internationalen Konflikt handelt (zwei oder mehr Staaten)

Zur Anwendbarkeit von Kriegsrecht in einem nicht-internationalen Konflikt siehe auch UN-Charta,, Chapter 7, Art.51, nach dem das Recht auf Selbstverteidigung zwar davon abhaengig ist , dass die angegriffene Partei ein Staat ist, zum Angreifer aber keine solchen Bedingungen formuliert sind.

Article 51
Nothing in the present Charter shall impair the inherent right of individual or collective self-defence if an armed attack occurs against a Member of the United Nations, until the Security Council has taken measures necessary to maintain international peace and security. Measures taken by Members in the exercise of this right of self-defence shall be immediately reported to the Security Council and shall not in any way affect the authority and responsibility of the Security Council under the present Charter to take at any time such action as it deems necessary in order to maintain or restore international peace and security.

Und noch ein ein Zitat zur Anwendbarkeit von Kriegsrecht in nicht-internationalen Konflikten. von meinem Freund, dem Voelkerrechtler:

Nehme ich ein Standardwerk zum Internationalen Oeffentlichen Recht zur Hand (Nguyen Daillier Pellet, Droit International Public), und finde auf Seiten 857 und 858 als Beispiele fuer Kriege (in denen KVR galt), an denen nicht nur staatliche Parteien teilnahmen, den Koreakrieg, den Vietnamkrieg, sowie einen generellen Verweis auf Befreiungskriege. Fuer die gegenteilige These spricht eigentlich nur die Resolution 3314 (XXIX) der UN-Vollversammlung vom 14. Dezember 1974, die Aggression als eine Situation zwischen zwei Staaten definiert. Nicht nur ist diese Resolution aber nur eine unverbindliche Empfehlung an den Sicherheitsrat, sie ist auch ausdruecklich unvollstaendig (Art. 2).

Im uebrigen moechte ich darauf hinweisen, dass auch die Bestimmungen zu Besetzung Teil der IV. Genfer Konvention sind. Israel hat lange in Frage gestellt, ob die IV. Genfer Konvention ueberhaupt auf die Westbank und den Gazastreifen anwendbar ist, weil – bei enger Interpretation von Artikel 2 dies bedeuten muesste, dass die frueheren Besatzer dieser Gebiete Jordanien und Aegypten anerkannte und legitime Souveraine waren. Was die praktische Anwendung angeht, wurde diese Zweifel ad acta gelegt, als Israel erklaerte, dass es die Bestimmungen der Konvention auf de-facto Basis anerkennen wuerde.

Bewaffneter Widerstand gegen eine Besatzungsmacht ist aber nur dann legal, wenn von KVR ausgegangen wird. Die Genfer Konventionen koennen nicht selektiv angewendet werden. Wenn die Palaestinenser daher darauf bestehen, sich in einem legalen Widerstandskampf gegen die isr. Besatzung zu befinden, dann erkennen sie damit implizit die Gueltigkeit von KVR an. (Natuerlich sind Anschlaege auf Zivilisten auch unter KVR illegal.)

Immer wieder wird argumentiert, dass Israel als Besatzungsmacht Ordnungsgewalt in den besetzten Gebieten ausuebe.

Das ist jedoch nicht richtig. In den verschiedenen Vertraegen beginnend mit Oslo I wurde die Ordnungsgewalt an die PA uebergeben. Gebiet A ist definiert als Territorium, in dem die PA vollstaenig alle Zustaendigkeit fuer Sicherheit und zivile Belange uebernommen hat. Gebiet B ist definiert, als Territorium , das unter PA Jurisdiktion steht, obwohl die Israelis weiterhin fuer bestimmte Sicherheitsbelange verantwortlich sind.

Die Genfer Konvention definiert aber in Artikel 6, dass die Besatzungsmacht nur dann durch ihre Bestimmungen gebunden ist, soweit sie Regierungsfunktion ausuebt.

Die Besetzungsmacht ist jedoch – soweit sie die Funktionen einer Regierung in dem in Frage stehenden Gebiet ausuebt – waehrend der Dauer der Besetzung durch die Bestimmungen der folgenden Artikel des vorliegenden Abkommens gebunden: 1–12, 27, 29– 34, 47, 49, 51, 52, 53, 59, 61–77 und 143.

Dementsprechend kann Israel in den Gebieten A und B nicht in die Verantwortung einer Ordnungsmacht gestellt werden.

Dieser Ansatz wurde vom Internationalen Kommittee des Roten Kreuz angenommen, als Israel sich 1994 aus dem Gazastreifen und Jericho zurueckzog. Der Rechtsberater des ICRC, Dr. Hans-peter Gasser, hat damals die komplexe Frage zur Anwendbarkeit von internationalem, humanitaerem Recht angesprochen in Bezug auf den Rueckzugs Israels aus Teilen des besetzten Territoriums: “The ICRC has no reason to be there [Gazastreifen und Jerichogebiet] or to monitor compliance with international rules which do not apply.”

Im Kontext eines kriegerischen Konflikts hat Israel das Recht, sich mit militaerischen Mitteln zu verteidigen.

Wie der schon zitierte Art. 51 der UN-Charta festhaelt:

Nothing in the present Charter shall impair the inherent right of individual or collective self-defence if an armed attack occurs against a Member of the United Nations, until the Security Council has taken measures necessary to maintain international peace and security.

Damit ein Akt als legale Selbstverteidigung definiert werden kann, werden ueblicherweise vier Elemente fuer notwendig erachtet. In Oppenheim’s International Law, Jennings and Watts Eds. (Longman 1992), p. 422 werden diese wie folgt wiedergegeben:

a) an armed attack is launched or immediately threatened
b) there is an urgent necessity for defensive action against that attack
c) there is no practicable alternative to action in self-defense, and in particular another state or authority which has the legal powers to stop or prevent the infringement does not or cannot use them to that effect
d) the action taken by way of self-defense is limited to what is necessary to stop or prevent the infringement, i.e. to the needs of defense.

O. Schachter schreibt in “International Law in Theory and Practice (Nijhoff 1991) p. 164:

It is clear that terrorist attacks against State officials, police or military units are attacks on a State, wherever they occur. Attacks on private persons and private property may also be regarded as attacks upon a State when they are intended to intimidate and strike fear in order to compel that State to act, or refrain from political action.

Ders. Aeussert sich p. 167 wie folgt zur “urgent necessity”:

A series of attacks accompanied by bellicose statements by those associated with the terrorists are convincing indications that future attacks may be expected.

Zu 2)

IV GK I (3) 1 und 2 spezifizieren die auch in einem nicht-internationalen Konflikt geltenden Bestimmungen:

1.
Personen, die nicht direkt an den Feindseligkeiten teilnehmen, einschliesslich der Mitglieder der bewaffneten Streitkräfte, welche die Waffen gestreckt haben, und der Personen, die infolge Krankheit, Verwundung, Gefangennahme oder irgendeiner anderen Ursache ausser Kampf gesetzt wurden, sollen unter allen Umständen mit Menschlichkeit behandelt werden, ohne jede Benachteiligung aus Gründen der Rasse, der Farbe, der Religion oder des Glaubens, des Geschlechts, der Geburt oder des Vermögens oder aus irgendeinem ähnlichen Grunde.
Zu diesem Zwecke sind und bleiben in bezug auf die oben erwähnten Personen jederzeit und jedenorts verboten:
a.
Angriffe auf Leib und Leben, namentlich Mord jeglicher Art, Verstümmelung, grausame Behandlung und Folterung;
b.
die Gefangennahme von Geiseln;
c.
Beeinträchtigung der persönlichen Würde, namentlich erniedrigende und entwürdigende Behandlung;
d.
Verurteilungen und Hinrichtungen ohne vorhergehendes Urteil eines ordnungsmässig bestellten Gerichtes, das die von den zivilisierten Völkern als unerlässlich anerkannten Rechtsgarantien bietet.
2.
Die Verwundeten und Kranken sollen geborgen und gepflegt werden.
Eine unparteiische humanitäre Organisation, wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, kann den am Konflikt beteiligten Parteien ihre Dienste anbieten.
Die am Konflikt beteiligten Parteien werden sich anderseits bemühen, durch besondere Vereinbarungen auch die andern Bestimmungen des vorliegenden Abkommens ganz oder teilweise in Kraft zu setzen.
Die Anwendung der vorstehenden Bestimmungen hat auf die Rechtsstellung der am Konflikt beteiligten Parteien keinen Einfluss.

Wie schon in meinem Leserbrief zu diesem Thema ausgefuehrt, werden die zu schuetzenden Personen weder ueber ihren Status „Zivilist“ noch ueber ihre Ausruestung „unbewaffnet“ definiert, sondern ausschliesslich ueber ihr Verhalten im Konflikt gekennzeichnet. Nur wenn sie nicht unmittelbar beteiligt sind, haben sie Anspruch auf Schutz.

Zur Definition, wer nach der IV GK eine „protected person“ ist und wer nicht ist auch IV GK Teil II, Allgemeiner Schutz der Bevoelkerung vor gewissen Kriegsfolgen , Artikel 15, erhellend:

Artikel 15
Jede am Konflikt beteiligte Partei kann entweder direkt oder durch Vermittlung eines neutralen Staates oder einer humanitaeren Organisation der gegnerischen Partei vorschlagen, in den Kampfgebieten neutrale Zonen zu schaffen, die dazu bestimmt sind, die folgenden Personen ohne jeglichen Unterschied vor den Gefahren des Krieges zu schuetzen:
a.
die verwundeten und kranken Kombattanten oder Nichtkombattanten;
b.
die Zivilpersonen, die nicht an den Feindseligkeiten teilnehmen und die sich waehrend ihres Aufenthaltes in diesen Zonen keiner Arbeit militaerischer Art widmen.

Ausdruecklich werden Zivilpersonen nur dann den zu schuetzenden Personen zugerechnet, wenn sie nicht an den Feindseligkeiten teilnehmen und sich keiner Arbeit militaerischer Art widmen.

Diese Auffassung entspricht der Position des ICRC laut ihrem Model Manual on the Law of Armed Conflict for Armed Forces (ICRC 1999), p. 29:

Civilians are not permitted to take a direct part in hostilities and are immune form attack. If they take a direct part in hostilities they forfeit this immunity.

F. Kalshoven schreibt in The Law of Warefare (Slithoff 1973), p. 50:

The terrorist who blindly commits his ravages among the civilian population, no matter how despiceable he may be, unqeustionably takes part in hostilities and hence is no more a civilian than the crew member of the bombing aircraft.

Zur Frage, ob auch die Hintermaenner der “Terroristen im Felde” ihren Status als zu schuetzende Personen verlieren, siehe die Stellungsnahme meines Freundes: Man darf

die aktive Teilnahme an den Feindseligkeiten auch nicht auf das aktive Schiessen etc. beschraenken, denn sonst waeren die meisten Soldaten (1 „Kaempfer“ auf zwei oder drei Unterstuetzer, Nachschub, Schreibstube usw.) fast alle Offiziere und alle Generaele auch Protected Persons, und die politische Fuehrung sowieso. Generell versteht man dies also so, dass nicht nur der Ausfuehrende am unteren Ende, sondern auch die ganze Befehlskette darueber nicht als Protected Person gilt.

3 Antworten

  1. Hallo Ruth,

    erstmal herzlichen Glückwunsch zu Deinem Blog!

    Du legst (aus meiner Sicht) überzeugend dar, dass Yassin nicht zu den „protected persons“ gehörte. Ob daraus aber automatisch folgt, dass eine „gezielte Tötung“ legal ist, weiss ich nicht. Denn dass jemand nicht zu einer Personengruppe gehört, für die bestimmte Regeln gelten macht ja noch keine Aussage darüber, welche Regeln für die Personengruppe gelten, zu der er gehört. Welche Regeln gelten für Personen, die nicht zu den „protected persons“ gehören, wäre daher mE die nächste Frage. Wenn für die z.B. gilt, dass sie immer legal getötet werden können, wäre der Fall klar.
    Artikel 15 bezieht sich auf irgendwelche „neutralen Zonen“, die vereinbart werden können- trifft das denn hier zu?

    „Nothing in the present Charter shall impair the inherent right of individual or collective self-defence if an armed attack occurs against a Member of the United Nations, until the Security Council has taken measures necessary to maintain international peace and security. “

    Folgt daraus schon, dass das KVR für diese Selbstverteidigungsmaßnahmen gilt? Es wird vermutlich so sein (und es ist gut möglich, dass das offensichtlich so ist, ich kenne nur den Geltungsbereich des KVR nicht, betrachte daher nur die Argumentation hier und die Zitate).

    MfG Sven

  2. Sven,

    mir ist schon klar, dass Dir meine Darlegung immer noch nicht gefaellt. Inzwischen hat diese Auffassung aber durch das Urteil des Obersten Gerichtshofs in Israel eine weitgehende Bestaetigung erhalten.

    Hier der Artikel von Ulrich W. Sahm in Hagalil: http://www.hagalil.com/01/de/Israel.php?itemid=249

    Ich will den Urteilstext noch selber durchgehen und eventuell einen Blogeintrag daraus machen.

  3. Ruth,

    Ich widerspreche dieser Auffassung ja nicht- ich seh nur ein paar offene Stellen in der Darlegung.

    MfG Sven

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